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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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übergab sich in die große Spüle, in der der Tellerwäscher später die Töpfe und Pfannen schrubben sollte.
    Ed, der Tellerwäscher, stand abseits; er war trockener Alkoholiker und Veteran des Zweiten Weltkriegs, wie zahlreiche verblasste Tätowierungen bezeugten. Zu einer Zeit, als keiner ihn haben wollte, hatten die Brüder Cheng ihm Arbeit gegeben, und Ed war ihnen treu ergeben, auch wenn er in der kleinen Küche in Coralville manchmal Klaustrophobie bekam und ihm die politischen Gespräche im Mao's fremd waren. Für fremde Länder hatte Ed nichts übrig; dass Amerika aus Vietnam abzog, fand er völlig in Ordnung. Er war bei der Marine gewesen, im Pazifik. Jetzt kotzte eine japanische Zwillingsschwester in seine Spüle, und die andere heulte wie ein Schlosshund. (Ed dachte vielleicht, dass er ihre Verwandten getötet hatte; falls dem so war, tat es ihm nicht leid.)
    »Wie geht's denn so, Ed?«, fragte Danny den Tellerwäscher.
    »Zurzeit nicht besonders gut«, antwortete Ed.
    »Kissinger ist ein Kriegsverbrecher!«, brüllte Xiao Dee. (Henry Kissinger war, wenn auch nur kurz, im Fernsehen zu sehen gewesen.) Ah Gou, der gerade Schalotten hackte, schwang bei der bloßen Erwähnung des Namens Kissinger sein Beil, doch jetzt zeigte das Fernsehen wieder die durch Saigons Straßen rollenden feindlichen Panzer; sie näherten sich der amerikanischen Botschaft, zumindest sagte das eine namenlose Stimme. Man schrieb fast Ende April - das waren die letzten Lufttransporte, es war der Tag vor der Kapitulation Saigons. Etwa siebzig amerikanische Hubschrauber waren zwischen dem ummauerten Hof der Botschaft und den vor der Küste liegenden US-Kriegsschiffen hin- und hergependelt; an diesem einen Tag wurden an die 6200 Menschen evakuiert. Die letzten Hubschrauber, die Saigon verließen, hatten den US-Botschafter und die zur Bewachung der Botschaft eingesetzten Marines an Bord. Wenige Stunden später kapitulierte Südvietnam.
    Doch nicht
dieser
Anblick war auf dem kleinen Fernseher in der Küche des Mao's nur schwer zu ertragen. Es gab nämlich mehr Menschen, die Saigon verlassen wollten, als Plätze in Hubschraubern. Hunderte würden im Hof der Botschaft zurückbleiben. Dutzende Vietnamesen klammerten sich an die Kufen der letzten beiden Hubschrauber. Als die Helikopter aufstiegen, fielen sie in den Tod. Das Fernsehen wiederholte diese Szenen immer und immer wieder. »Die armen Menschen«, hatte der Koch gesagt, nur Sekunden ehe Sao sich in Eds Spüle übergab.
    »Das sind keine Menschen, jedenfalls nicht für die meisten Amerikaner, sondern
Schlitzaugen!«,
rief Xiao Dee.
    Ah Gou schaute auf den Bildschirm statt auf die Schalotten und schnitt sich das erste Glied des Zeigefingers seiner linken Hand ab. Die immer noch weinende Kaori fiel in Ohnmacht; der Koch schleppte sie vom Herd weg. Danny nahm ein Geschirrtuch und wickelte es fest um Ah Gous Oberarm. Die Fingerspitze von Großer Bruder lag in einer blutigen Pfütze zwischen den gehackten Schalotten.
    »Hol Yi-Yiing«, sagte der Koch zu Sao. Ed nahm ein nasses Tuch und wischte dem Mädchen damit übers Gesicht. Sao sah genauso leichenblass aus wie ihre ohnmächtige Zwillingsschwester, doch sie kotzte nicht mehr und schwebte wie ein Gespenst in Richtung Gastraum.
    Als sie die Schwingtür zum Gastraum aufstieß, hörte Danny einen der Geschäftsleute sagen: »Was für ein irrer, abgefuckter Laden ist das hier eigentlich?«
    »Ah Gou hat sich den Finger abgeschnitten«, hörte er Sao zu Yi-Yiing sagen.
    Dann schwang die Tür zu, und Danny hörte nicht, wie oder was Sao, Tzu-Min oder Yi-Yiing dem Geschäftsmann antwortete oder ob eine der Frauen überhaupt versuchte, ihm zu antworten. (An dem Abend, als Saigon fiel,
war
das Mao's ein irrer, abgefuckter Laden.)
    Wieder schwang die Tür zum Gastraum auf, und alle kamen in die Küche - Yi-Yiing mit Joe, Tzu-Min und Sao. Danny wunderte sich schon, dass die drei Geschäftsleute und die beiden Paare nicht auch dabei waren, allerdings wäre für die in der chaotischen Küche kein Platz mehr gewesen.
    »Gott sei Dank haben sie alle Perlhuhn bestellt«, sagte der Koch.
    Die auf dem Boden liegende Kaori setzte sich auf. »Die beiden Pärchen kriegen Perlhuhn«, sagte sie. »Die Anzugträger haben Ravioli bestellt.«
    »Ich meine nur die Paare«, sagte Tony Angel. »Die werden als Erste bedient.«
    »Ich warne euch - es fehlt nicht viel, und die Geschäftsleute gehen wieder«, meldete sich Tzu-Min.
    Yi-Yiing fand Ah Gous Fingerspitze in

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