Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
Asche des Kochs in beiden Händen und schüttelte sie. »Was sagst du dazu, Paps?«, fragte Danny die stumme Asche. »Dad erhebt keinen Einspruch, Ketchum.«
    »Scheiße - deiner
Mom
hab ich's auch versprochen!«, rief Ketchum.
    Danny fiel ein, was Indianer-Jane ihm erzählt hatte. In der Nacht, als seine Mutter unter dem Eis verschwand, hatte sich Ketchum im Kochhaus ein Hackebeil gegriffen. Er stand einfach in der Küche, die linke Hand auf ein Schneidebrett gelegt, das Hackebeil in der Rechten. »Lass es«, hatte Jane dem Flößer gesagt, doch Ketchum hatte nur immer seine linke Hand auf dem Schneidebrett angestiert - und sich womöglich vorgestellt, sie wäre nicht mehr da. Jane hatte Ketchum dort stehen lassen und sich um Danny und seinen Dad gekümmert. Als Jane später wieder in die Küche kam, war Ketchum weg gewesen. Jane hatte überall nach der linken Hand des Holzfällers gesucht; irgendwo würde sie sie finden, das stand für Jane fest. »Ich wollte nicht, dass du oder dein Vater sie findet«, hatte sie Danny damals gesagt.
    Manchmal, besonders wenn Ketchum betrunken war, hatte Danny beobachtet, wie er seine linke Hand ansah; so hatte er auch den Gips an seinem rechten Handgelenk betrachtet, nachdem Angel unter die Baumstämme geraten war.
    Jetzt fuhren sie stumm neben dem Androscoggin her, bis Danny endlich sagte: »Was du meinem Dad
oder
meiner Mom versprochen hast, ist mir egal, Ketchum. Ich frage mich nur eins: Falls du dich selbst gehasst hast - wenn du dir eine
echte
Lektion erteilen oder dich zur Rechenschaff ziehen wolltest -, warum wolltest du dir dann nicht deine
gute
Hand abschneiden?«
    »Meine linke Hand
ist
meine gute Hand!«, rief Ketchum.
    Carmella räusperte sich, was an dem grässlichen Bärengestank liegen mochte. Ohne den einen oder den anderen Mitfahrer anzusehen, sprach Carmella stattdessen zu dem Armaturenbrett des Trucks - oder vielleicht zu dem stummen Radio - und sagte: »Erzählen Sie uns bitte die Geschichte, Mr. Ketchum.«
     

15 - Tanzende Elche
    Dass Ketchum die Geschichte seiner linken Hand zuerst für sich behielt, überraschte Danny nicht. Als sie im Pick-up am Pontook-Staudamm vorbei die Dummer Pond Road entlangfuhren - und Danny die ihm von damals vertraute Ableitung in die Felder bemerkte -, war klar, dass Ketchum eigene Pläne verfolgte. Die Geschichte, die enthüllte, welche seltsame Logik den alten Holzfäller dazu gebracht hatte, seine linke als seine »gute« Hand zu betrachten, würde warten müssen. Außerdem fiel Danny auf, dass Ketchum an der ehemaligen Holzabfuhrstraße nach Twisted River vorbeirauschte.
    »Fahren wir aus irgendeinem Grund nach Paris?«, fragte der Schriftsteller.
    »Nach West Dummer«, korrigierte ihn Ketchum, »oder was davon übrig ist.«
    »Nennt es überhaupt noch jemand West Dummer?«, fragte Danny.
    »Ja, ich«, antwortete Ketchum.
    Als sie die neue Brücke über den Phillips Brook überquerten, waren sie auf einmal auf Dannys altem Schulweg, wenn Indianer-Jane ihn gefahren hatte. Damals war ihm die Fahrt von Twisted River nach Paris schier endlos vorgekommen; jetzt flogen Zeit und Straße dahin, nur nicht der Bärengestank.
    »Lass dir deswegen keine krummen Eier wachsen, Danny, aber die Paris Manufacturing Company School - das eigentliche Schulhaus - steht immer noch«, warnte ihn Ketchum. »Dort verbrachte der junge angehende Schriftsteller einige prägende Jahre - in denen er überwiegend nach Strich und Faden verdroschen wurde«, erläuterte er Carmella, die offenbar Schwierigkeiten hatte, sich die krummen Eier vorzustellen.
    Wahrscheinlich kämpfte Carmella nur gegen ihre Übelkeit an; von der Kombination aus holpriger Straße und widerwärtigem Mief war ihr wohl schlecht geworden. Danny, dem auf jeden Fall speiübel war, gab sich Mühe, die Bärenhaare zu ignorieren, die im schlingernden Pick-up herumgewirbelt wurden.
    Sogar mit einer Knüppelschaltung schaffte es Ketchum, sozusagen nur mit der rechten Hand zu fahren. Sein linker Ellbogen ragte aus dem Fahrerfenster, wobei die Finger seiner linken Hand nur immer kurz und wie zufällig das Lenkrad touchierten, das Ketchum mit der rechten Hand fest umklammert hielt. Jedes Mal, wenn er schalten musste, tastete Ketchums rechte Hand nach dem Knauf an dem langen, gebogenen Schaltknüppel - in der Gegend von Carmellas Knien. Währenddessen übernahm Ketchums linke Hand mit lockerem Griff kurz das Steuer, aber nur gerade die ein, zwei Sekunden, die seine rechte zum Schalten

Weitere Kostenlose Bücher