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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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gefälligst schreiben sollte.
    »Sie schreiben in der Küche«, sagte die Putzfrau - was an sich ein schlichter Aussagesatz war, an dem Danny aber eine gewisse Schärfe auffiel. Wegen Lupitas kritischen Untertons klang ihre Bemerkung, als hätte sie eigentlich gesagt: »Sie vögeln in der Auffahrt (und zwar am helllichten Tag).« Danny war über den indirekten Rüffel ein wenig konsterniert.
    »Schreiben würde ich das nicht nennen, Lupita«, verteidigte er sich. »Ich mache mir nur ein paar Notizen zu dem, was ich schreiben
werde.«
    »Egal, was Sie machen, Sie machen es in der
Küche.«
Lupita ließ nicht locker.
    »Stimmt«, bestätigte Danny zögernd.
    »Ich könnte vermutlich oben anfangen - sagen wir im zweiten Stock, in Ihrem Schreibzimmer, wo Sie gerade nicht schreiben«, sagte die Putzfrau.
    »Das wäre prima«, erwiderte Danny.
    Lupita seufzte, als wäre die Welt für sie ein ständiger Quell von Kummer und Leid - was bisher ja auch stimmte. Er nahm hin, wie schwierig sie sein konnte, und auch, dass sie im Haushalt das Zepter schwang. Danny wusste, dass man bei Menschen, die wie seine Putzfrau ein Kind verloren hatten, toleranter sein, dass man ihre Autorität anerkennen musste. Doch bevor Lupita die Küche verließ - um sich ihrer für sie von der Abfolge her verkehrten (wenn nicht gar grundfalschen) ersten Aufgabe des Tages zu widmen -, sagte Danny zu ihr: »Würden Sie heute bitte den Kühlschrank säubern, Lupita? Werfen Sie einfach alles weg.«
    Lupita war nicht leicht zu überraschen, doch jetzt stand sie da wie vom Schlag getroffen. Sie riss sich zusammen und öffnete die Tür des Kühlschranks, den sie erst kürzlich geputzt hatte; er war praktisch leer. (Wie fast immer, wenn Danny nicht gerade eine Dinnerparty gab.)
    »Nein, ich meine die
Tür«,
sagte Danny. »Bitte machen Sie sie komplett sauber. Schmeißen Sie alle Zettel weg.«
    An diesem Punkt verwandelte sich Lupitas Missfallen in Sorge.
»?Enfermo?«,
fragte sie Danny plötzlich. Ihre dicke braune Hand fühlte ihm die Stirn, die der erfahrenen Hausfrau überhaupt nicht fiebrig vorkam.
    »Nein, ich bin
nicht
krank, Lupita«, teilte Danny ihr mit. »Ich bin es nur leid, dass ich mich ständig von Wichtigerem ablenke.«
    Für den Schriftsteller, der, wie Lupita wusste, kein junger Hüpfer mehr war, war es eine schwierige Zeit des Jahres. Für Menschen, die einen Angehörigen verloren hatten, war Weihnachten die schlimmste Zeit überhaupt, daran zweifelte die Putzfrau nicht im Geringsten. Umgehend kam sie Dannys Aufforderung nach. (Sie begrüßte sogar die Gelegenheit, ihn beim Schreiben zu stören, da er es am falschen Ort tat.) Mit Freuden riss Lupita die Zettelchen von der Kühlschranktür; das verdammte Klebeband würde länger dauern, das wusste sie und schabte mit ihren Fingernägeln an den Plastikresten herum. Außerdem würde sie die Tür mit einer antibakteriellen Lösung reinigen, doch das hatte Zeit.
    Es ist kaum anzunehmen, dass die Putzfrau je auf den Gedanken gekommen wäre, dass sie gleichsam eine Obsession von Danny wegwarf, nämlich seine Fixierung auf Ketchums vermutete Kommentare zu Bushs Stümperei im Irak; doch genauso war es. Vielleicht war sich Danny - irgendwo tief im Inneren - bewusst, dass er in diesem Augenblick wenigstens ein wenig von der Wut losließ, die er seinem
ehemaligen
Land gegenüber empfand.
    Ketchum hatte Amerika eine verlorene Nation, eine Nation im Niedergang, genannt, doch Danny wusste nicht, ob diese Einschätzung gerecht war - oder ob sie schon
jetzt
zutraf. Für Daniel Baciagalupo als Schriftsteller zählte nur, dass seine ehemalige Heimat für
ihn
eine verlorene Nation war. Seit Bushs Wiederwahl hatte sich Danny damit abgefunden, dass Amerika für ihn verloren war und dass er - von diesem Augenblick an - bis ans Ende seiner Tage ein in Kanada lebender Außenseiter sein würde.
    Während Lupita sich an der Kühlschranktür zu schaffen machte, ging Danny in den Fitnessraum und rief im Kiss of the Wolf an. Er hinterließ eine recht detaillierte Nachricht auf dem Anrufbeantworter und bat, ihm für jeden Abend, an dem das Restaurant noch geöffnet war, einen Tisch zu reservieren - also bis Patrice und Silvestro am ersten Weihnachtstag schlossen. Lupita hatte recht gehabt: Weihnachten war für Danny immer schwierig. Zuerst hatte er Joe und das Weihnachten in Colorado verloren, dann war Dannys Dad abgeknallt worden. Und seit dem ebenfalls unvergesslichen Weihnachtsfest 2001 erinnerte Weihnachten Danny

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