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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ließ sich sein auf und nieder ruckendes Licht leicht identifizieren - und dank der kürzeren Schritte, Dominic musste nämlich doppelt so viele Schritte machen, um nicht hinter Sixpack-Pam mit ihren längeren Beinen zurückzubleiben. (Ihr Gespräch hätte Jane vielleicht ganz gern mit angehört; Danny seinerseits hätte zu gern gesehen, wie Ketchum nackt auf dem Klo hockte.) Doch bald waren die Taschenlampen in dem Nebel verschwunden, der das Flussbecken einhüllte, und zwischen den schwächeren Lichtern der Ortschaft.
    »Er ist bald wieder da«, erklärte der Zwölfjährige, der wohl gespürt hatte, dass Jane dies hoffte. Sie reagierte nicht, deckte nur das Federbett im Zimmer seines Vater auf - und knipste die Lampe auf dem Nachttisch an.
    Danny folgte ihr in den Flur und sah, wie sie beim Verlassen des Schlafzimmers die gusseiserne Bratpfanne berührte. Die Pfanne hing in Schulterhöhe seines Vaters, aber in Brusthöhe von Indianer-Jane. Für Danny, der sie im Vorbeigehen auch berührte, hing sie in Augenhöhe.
    »Stellst du dir vor, wie du einem Bären eine verpasst?«, fragte Jane den Jungen.
    »Das hast
du
dir wohl vorgestellt«, erwiderte er.
    »Putz dir die Zähne und alles andere auch«, sagte sie.
    Der Junge ging in das Bad, das er sich mit seinem Vater teilte. Als er fertig war und sich den Schlafanzug angezogen hatte, kam Jane in Dannys Zimmer und setzte sich neben ihm aufs Bett.
    »Ich hab noch nie gesehen, wie du deinen Zopf aufmachst«, sagte der Junge. »Ich frage mich, wie du mit offenen Haaren aussiehst.«
    »Du bist zu jung, um mich mit offenen Haaren zu sehen«, sagte Jane zu ihm. »Ich will dich nicht zu Tode erschrecken und dich auf dem Gewissen haben.« Der Junge sah unter dem Schirm der Cleveland-Indians-Mütze ihre verschmitzten Augen.
    Aus dem Ort ertönte ein Ruf und dann entweder ein ähnlicher Ruf oder ein Echo von dem nahen Flussbecken. Es ließen sich keine einzelnen Wörter heraushören, und mögliche Antwortrufe wurden vom Wind verweht.
    »Samstags abends ist es im Ort gefährlich, stimmt's?«, wollte Danny von Indianer-Jane wissen.
    »Ich kenne da einen kleinen Kerl, der hinkt - wenn du weißt, wen ich meine - und der immer sagt, das sei >eine Welt voller Unfälle<. Vielleicht kommt dir das bekannt vor«, sagte Jane. Ihre große Hand war unter die Bettdecken geschlüpft und hatte Dannys Achselhöhle gefunden, wo er, wie sie wusste, am kitzligsten war.
    »Ich weiß, wen du meinst!«, rief der Zwölfjährige. »Nicht kitzeln!«
    »Also, an einem Samstagabend gibt es einfach mehr Unfälle«, fuhr Jane fort. Sie kitzelte ihn nicht, ließ ihre Hand aber in seiner Achselhöhle. »Aber keiner wird sich mit deinem Dad anlegen, nicht wenn Sixpack bei ihm ist.«
    »Aber auf dem Rückweg ist er ganz allein«, wandte der Junge ein.
    »Mach dir um deinen Vater keine Sorgen, Danny«, riet ihm Jane. Sie nahm die Hand aus seiner Achsel und setzte sich auf.
    »Könntest du's mit Sixpack-Pam aufnehmen?«, fragte Danny. Das war eine von Daniel Baciagalupos Lieblingsfragen; ständig wollte er von Indianer-Jane wissen, ob sie es mit irgendwem »aufnehmen« könnte, das Pendant zu Ketchums Drohung, einem echten oder angeblichen Gegner den Arsch aufzureißen. Könnte Jane es mit Henri Thibeault »aufnehmen« oder mit Keine-Finger La Fleur, mit den Brüdern Beaudette oder den Beebe-Zwillingen - oder mit Scotty Fernald, Earl Dinsmore, Charlie Clough und Frank Bemis?
    Meist antwortete Indianer-Jane: »Ich glaub schon.« (Als Danny sie gefragt hatte, ob sie es mit Ketchum aufnehmen könnte, antwortete sie: »Wenn er betrunken wäre, vielleicht.«)
    Doch als es um Sixpack-Pam als imaginäre Gegnerin ging, zögerte Jane. Danny hatte nicht sehr oft erlebt, dass sie zögerte. »Sixpack ist eine verlorene Seele«, sagte Jane schließlich.
    »Aber könntest du es mit ihr aufnehmen?« Danny ließ nicht locker.
    Als Jane aufstand, beugte sie sich über den Jungen, drückte ihm mit ihren starken Händen die Schultern und küsste ihn auf die Stirn. »Ich glaub schon«, sagte Indianer-Jane.
    »Warum hatte Sixpack keinen bh an?«, fragte Danny.
    »Anscheinend hat sie sich in aller Eile angezogen«, antwortete Jane. Von seiner Zimmertür aus warf sie ihm eine Kusshand zu und ließ die Tür dann halb offen stehen. Solange Danny zurückdenken konnte, war das Licht im Flur sein Nachtlicht.
    Es klapperte, als der Wind an der losen Außentür zur Küche rüttelte. Der Zwölfjährige wusste, dass das nicht sein Dad war, der

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