Letzte Nacht
als wüsste er nicht, wohin er sich wenden soll, kommt dann näher, folgt Doms Reifenspuren und biegt auf den Parkplatz. Ein großer, schlecht lackierter Caprice, wahrscheinlich ein ehemaliges Taxi oder ein auf einer Auktion erstandener Streifenwagen, eine richtig alte Kiste. Er rechnet damit, dass der Wagen einen weiten Bogen fährt und einen der besten Parkplätze vor dem Gebäude nimmt, doch er gleitet vorbei, als wollte er um den ganzen Komplex herum fahren. Manny hält inne, um den Wagen passieren zu sehen, und richtet sich auf, als würde er das Restaurant bewachen. Vorn sitzen zwei Personen – ein riesiger Schwarzer hinterm Lenkrad und neben ihm eine zierliche braunhäutige junge Frau mit zurückgebundenem Haar und einem Diamantnasenstecker. Jacquie.
Da Manny ein netter Kerl ist, hebt er die Hand, um zu winken. Einen Augenblick glaubt er, dass sie ihn direkt anblickt, mit funkelnden Augen, die ihn bitten, es nicht zu tun, und er zögert unsicher. Er erstarrt mitten in der Bewegung, und dann sind sie auch schon vorbei und um die Ecke, vorbei an Doms Grand Am und Roz’ neuem CRV, ziehen eine wirbelnde Schneefahne hinter sich her, und Manny bleibt zurück und betrachtet die frische Reifenspur. Er steckt die Hand in die Tüte, als wenn nichts passiert wäre, und ist überzeugt, dass ihn hinter den Jalousien alle beobachten.
Er hat Fotos von Rodney auf ihrer Frisierkommode gesehen, doch persönlich ist er ihm noch nie begegnet.
Rodney ist Kricketspieler, ein begehrter Werfer in Hartford und sogar in New York. Er ist wegen seiner Wutanfälle aus ein paar Amateurligen geflogen, und Manny kann zwar selbst auf sich aufpassen, aber sein letzter Ringkampf liegt schon eine Weile zurück, und er muss zugeben, dass ihn Rodney wohl fertigmachen könnte und dass er es nach allem, was passiert ist, wahrscheinlich verdient hätte. Nachdem er ihn so lange und so komplett hintergangen hat, bedauert er Rodney manchmal noch mehr als sich selbst – bis ihm einfällt, dass Rodney immer noch Jacquie hat. Von dem Wenigen, das sie Manny erzählt hat, weiß er, dass Rodney jede Schwarzarbeit annimmt, die er kriegen kann, denn er hat keine Aufenthaltserlaubnis und befürchtet, dass ihn Jacquie verlässt, sobald sie ihren Abschluss hat, und sich jemanden Gebildetes sucht. Er hat um ihre Hand angehalten – sie glaubt, aus Verzweiflung. Manny kann sich in ihn reinversetzen. So erniedrigend er ihr angedeutetes Winken auch fand – meistens war er einfach dankbar, dass sie auftauchte. Solange sie in seiner Nähe ist, geht’s ihm gut, egal wie erbärmlich das klingt. Auf eine seltsame Art sind er und Rodney Brüder, denn sie sind ihr beide auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Der Caprice tuckert um die andere Gebäudeseite, schneidet frische Spuren, und als er mit schlitterndem Heck den Parkplatz verlässt, gerät er ins Schleudern, fängt sich aber wieder. New Yorker Kennzeichen – wahrscheinlich nicht mal auf seinen Namen zugelassen. Nicht dass Mannys Fahrweise besser wäre.
Manny wirft mehrere Hände voll Salz, um sicherzugehen, dass überall genug hinkommt. Das könnte ihm ersparen, dass er die Prozedur in ein paar Stunden wiederholen oder sich mit der Schneefräse herumschlagen muss.
Jacquie hat wahrscheinlich schon ihre Stechkarte gestempelt und ihren Mantel aufgehängt (ein bauschiger himmelblauer Steppmantel mit weißem Kunstpelzkragen; als sie zusammen waren, fand Jacquie es immer witzig, den Mantel direkt neben seinen zu hängen, beide wie in einer heimlichen Andeutung aneinandergedrängt, obwohl bestimmt alle das Gefühl hatten, dass sie ihr Glück zur Schau stellten). Jetzt holt sie sich ihren Kaffee und schiebt sich durch die Tür des Pausenraums. Jetzt kontrolliert sie ihren Bereich und fragt, wer die Tische hergerichtet hat.
Bei all den Ablenkungen hat er Crystal vergessen, die immer noch nicht da ist, aber das ist etwas anderes als mit Warren und B‐Mac in der Küche. Roz, Jacquie und Nicolette verstehen ihr Handwerk. Roz meckert ständig, dass sie größere Bereiche bräuchten, um echtes Geld zu verdienen – heute ist die Gelegenheit.
Als er mit der schraffierten Fläche zwischen den Behindertenparkplätzen fertig ist, biegt noch ein Wagen ein, ein riesiger Olds mit rostfleckiger Stoßstange – Mr. Kashynski, Mannys ehemaliger Turnlehrer und Trainer an der High School, inzwischen im Ruhestand. Er war schon damals uralt, hatte aufgesprungene Gesichtshaut und einen pomadisierten Seitenscheitel. Dass er seit
Weitere Kostenlose Bücher