Letzte Nacht
sieben oder so, keine Ahnung.»
«Wir haben nur das Eine.»
Er führt sie in den Lagerraum, greift ins oberste Regal, holt einen Karton runter und öffnet die eingeklappten Laschen. Seite an Seite, schauen sie hinein wie in eine Schatzkiste. In einem Nest aus Seidenpapier liegen ein Dutzend schwere Gläser mit Reliefoberfläche, klobig wie Eisskulpturen – Manny fand sie immer hässlich, obwohl er erlebt hat, dass sie bei eBay für dreißig Dollar weggingen. Das Unternehmen hatte eine Serie von zehn Gläsern im Angebot, aber das war letztes Jahr. Die einzigen Leute, die jetzt noch daran Interesse haben, sind Sammler; die Zentrale hat im Frühling ein Memo verschickt, in dem untersagt wurde, die Gläser einfach zu verkaufen. Die Vorschriften gelten immer noch: Der Gast muss das richtige Essen dazu bestellen.
Wie Manny sich gerade erinnert, handelt es sich bei allen Gläsern um die Nummer drei, eine achteckige Rakete, die den Tybee Island‐Leuchtturm in Georgia darstellen soll – so berühmt, dass er noch nie von dem Ding gehört hat. Er lässt den Karton unten, dann kann er das Glas, wenn Jacquie zurückkommt, wieder einwickeln und an seinen Platz legen. Noch etwas für die Inventur.
Der Lagerraum ist gar kein richtiger Raum, sondern ein Flur hinter dem Grill, in dem sich auf beiden Seiten Regale bis zur Decke erheben. Während Manny wartet, umgeben von genau gleichen trommelartigen Do‐ sen mit Sysco‐Pickles und in Scheiben geschnittenen Pilzen, Zwanzig‐Liter‐Plastikbehältern Ketchup, Honigsenf und Cocktailsoße, hört er, wie Ty Fredo schikaniert («Da kommt das nicht hin. Aus dem Weg»), hört das transformatorhafte Summen des Eiswürfelbereiters und das zyklische Rotieren der Geschirrspülmaschine. Hier hat sie ihn ein Dutzend Mal geküsst, sich an ihn gedrückt trotz seiner nicht richtig ernst gemeinten Beteuerungen, dass man sie erwischen würde. Einige der staubigeren Dosen haben das wahrscheinlich damals miterlebt – die Maraschinokirschen und die Maiskölbchen vielleicht. Es erscheint ihm nicht richtig, dass sogar diese leicht verderblichen Waren das überdauert haben, was er einmal als immerwährend betrachtete – eigentlich immer noch betrachtet –, aber da stehen sie, als unumstößlicher Beweis. Auch die Leuchtturmgläser, obwohl sie nur ein befristetes Angebot sein sollten. Doch was ist schon unbefristet? Daran muss er bei Deena denken.
Kurz darauf ist Jacquie ohne das Glas wieder da. «Sie sagt, sie nimmt alle.»
«Für jeden Gast nur ein einziges», sagt er ohne zu überlegen und sieht an ihrem Blick, wie albern das ist. «Klar, kein Problem.»
Als er sich selbst eins nimmt, wirft sie ihm einen anderen Blick zu.
«Ich kann nicht glauben, dass dir das hier wirklich fehlen wird.»
Ich kann nicht glauben, dass es dir nicht fehlen wird, würde er am liebsten sagen, zuckt aber bloß mit den Schultern. «Ich war wohl zu lange hier.»
«Sieht so aus.»
Er weiß nicht, warum das ein Witz ist (erst mal ist es eine Lüge), doch wie all seine Wortwechsel mit Jacquie in letzter Zeit will er auch diesen nicht so genau analysieren, denn das führt zu nichts. Sie unterhalten sich bloß.
«Was wirst du tun?», fragt er.
«Mir einen Job besorgen – was denkst’n du?»
«Crystal nehme ich nun doch nicht mit, also ...»
«Manny», unterbricht sie ihn. «Ich dachte, das hätten wir schon geklärt.»
«Haben wir auch ...»
«Fang nicht wieder damit an. Nicht jetzt.»
«Ich hätte es dir vorher sagen sollen ...»
Aber plötzlich taucht Rich hinter ihr auf wie ein Gespenst. «Tut mir leid. Wir brauchen mehr Öl.»
«Schon okay», sagt Manny und lässt ihn durch, aber Jacquie geht bereits. Er könnte laufen, um sie einzuholen, auch mit dem Karton in den Armen. Doch er bringt ihn in den Pausenraum, schiebt sich vorsichtig rückwärts durch die Tür und packt die Gläser auf dem Tisch für sie aus.
«Danke», sagt sie.
«Keine Ursache.»
«Sie wird sich sehr freuen.»
«Ja.»
Roz stürmt mit einem vollen Geschirrkasten rein und ekommt gerade noch die letzten Worte mit. Sie schüttelt theatralisch den Kopf, als würde er einen großen Fehler machen, geht weiter in die Küche und brüllt: «Hab noch ein Geschenk für dich, Eddie.»
Danach drängt sich Nicolette leise vor sich hin fluchend vorbei, in der Hand ein Messer und einen Löffel.
«Hier. Wenn jemand sein Besteck auf den Boden wirft, nimmt man’s ihm dann weg, oder gibt man ihm neues?»
«Man gibt ihm neues», sagt
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