Letzte Nacht
geschickt ausspielst.»
Das sagt sie im Vorbeigehen und ist schon halb in der Küche, als er unwillkürlich auflacht und über ihre Begabung, ihn aufzuziehen, und den lächerlichen Gedanken, dass er irgendwelche Karten ausspielen könnte, den Kopf schüttelt.
Vorn ist der kleine Junge im Aufbruch begriffen. Nicolette hat die Essensreste in eine Styroporschachtel gepackt, der Mom die Kreditkarte zurückgegeben, sich von allen verabschiedet und ist in den Pausenraum geflüchtet.
Erst jetzt, wo ihre Visa‐Karte wohlbehalten in ihrer Brieftasche steckt, lässt die Mutter die Beurteilungskarte in die aufklappbare Ledermappe gleiten, die sie neben das Teelicht legt. Manny lauert an der großen Servicetheke, beobachtet, wie sie an den Großmüttern vorbeimarschieren, die sich beide gleichzeitig umdrehen, um eine Bemerkung über den Jungen zu machen, das einzige Kind im ganzen Restaurant. Manny widersteht dem Drang, rüberzugehen und die Frau nochmal zu beschwichtigen – was ihm nicht schwer fällt, weil der Junge wie ein aufgedrehter Pudel um ihre Beine herumspringt.
Jetzt sind sie stehen geblieben. Eine der Großmütter will dem Kind irgendwas aus ihrer Handtasche geben – ein Lutschbonbon, genau das, was er braucht.
«Geh weiter», murmelt Manny vor sich hin.
Die Mutter lehnt höflich ab – nein danke, das können wir nicht annehmen –, als der Junge plötzlich die Hand vor den Mund hält, als müsste er rülpsen, den Oberkörper nach vorn beugt und sich auf ihre Stiefel erbricht. Ein dicker karamellbrauner Schwall voller Brocken. Und er ist noch nicht fertig. Sein Würgen ist trotz Kenny Loggins zu hören, und die Leute von der Abschiedsparty drehen sich auf ihren Stühlen um.
«Bringen Sie ihn raus», flüstert Manny, doch die Mutter und ihre Freundin wollen den Jungen trösten und nicht zur Tür schleifen, und mit ihrer Hilfe übergibt er sich auf den Teppich, während sich die Großmütter schockiert anstarren.
«Kann ihm irgendwer bitte ein Glas Wasser holen?», schreit die Mutter, mit beiden Füßen in der Pfütze, denn es kommt nicht in Frage, sich von den Großmüttern eins zu borgen.
Manny hat immer einen Krug und ein leeres Glas auf der Servicetheke bereit stehen.
«Vielen Dank», schimpft die Mutter.
«Wir kümmern uns um das Ganze», entgegnet er. «Sie können sich auf der Toilette sauber machen.» Aber erst muss er ihre Stiefel abwischen, damit sie die Schmiere nicht im ganzen Restaurant verteilt. Er kniet sich hin und befeuchtet im Eiswasser eine Serviette. Aus der Nähe riecht das Zeug wie eine Mischung aus saurer Milch und frischer Hundescheiße.
«Vorsichtig», sagt die Frau. «Machen Sie sie nicht klitschnass.»
Gnädige Frau, würde er am liebsten sagen, das sind Stiefel.
Während er den stinkenden Teppich schrubbt und die ekligen Lappen in einen Geschirrkasten wirft, muss Nicolette die Großmütter zu einer Nische führen, die so weit wie möglich entfernt liegt, und das bedeutet, dass die ganze Bedienerei nochmal von vorn losgeht. Jacquie trägt ein Tablett rüber. Kendra auch, und Roz steht mit offenem Mund da und ist genauso erstaunt wie er. Während er auf dem Boden kniet, sieht er ein paar Kaugummiflecke an der Unterseite des Tisches, und bevor er sich bremsen kann, denkt er, er sollte später nach dem Spachtel suchen und sich der Sache annehmen.
Er holt gerade das Desinfektionsspray hervor, als die Mutter ihn bremst. Der Junge wartet mit der anderen Mutter am Aquarium, und die bunten Lichter spielen auf ihren Gesichtern.
«Ich will wissen, wer Ihr Vorgesetzter ist.»
«Ich habe keinen Vorgesetzten, ich bin der Geschäftsführer.»
«Okay, ich will’s Ihnen leichter machen.» Sie spricht jedes Wort deutlich aus. «An wen muss ich schreiben, um mich über das zu beschweren, was hier passiert ist? Denn ich finde, man sollte nicht darüber lachen, dass einem Kind schlecht ist, und mindestens eine Ihrer Angestellten hat über meinen Sohn gelacht.»
«Ich bin mir sicher, dass das nicht stimmt.»
«Ich weiß genau, dass es stimmt, und ich werde jemandem in dieser Angelegenheit einen Brief schreiben.»
«Ich kann Ihnen eine neue Beurteilungskarte geben.»
«Ich will keine neue Beurteilungskarte. Ich will den Namen und die Adresse von jemandem, der wirklich was unternimmt.»
Manny spürt die Versuchung – und so etwas ist ihm noch nie passiert –, der Frau zu sagen, dass ihr Sohn ein verzogener Balg und sie eine schreckliche Mutter und ein schrecklicher Mensch ist, doch
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