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Letzte Nacht

Letzte Nacht

Titel: Letzte Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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läuft nach draußen, der Schlüsselbund schlägt gegen seine Hüfte. Das Streusalz hat gewirkt, aber nur bis zum Ende des Weges. Nach drei Schritten auf dem Parkplatz quillt Schneematsch in Mannys Schuhe, und er muss umkehren. «Fredo!», ruft er in den Schneesturm hinaus. «Fredo!» Bei dem Schnee ist es schwer zu erkennen, aber er könnte schwören, dass sich Fredo kurz umdreht und dann weitergeht, direkt auf das Bushäuschen bei JCPenney zu. «Okay», brüllt Manny, die Arme weit ausgebreitet, als wollte er ihn herausfordern,  «deinen Scheck kannst du vergessen.»
    Als Erstes vergewissert sich Manny, ob Fredo ausgestempelt hat, und das hat er.
    «Keine Ahnung», sagt Ty. «Er hat einfach die Schürze ausgezogen und ist gegangen.»
    «Du hast nichts zu ihm gesagt?»
    «Zum Beispiel?»
    Zum Beispiel: Bist du wirklich so doof, oder baust du mit Absicht so eine Scheiße? Oder: Wer hat dir gesagt, dass du das machen sollst, ich jedenfalls nicht. Oder: Jetzt muss ich das Ganze nochmal machen, das kostet meine Zeit. «Hat irgendwer versucht, ihn aufzuhalten?»
    Rich, Leron und Eddie blicken wortlos herüber, als würde sie die Sache nichts angehen. Jacquie kommt rein, um an der Kaffeetheke eine Kanne aufzufüllen, schaut sich um und spürt die gespannte Stimmung.
    «Scheiß auf Fredo», sagt Ty. «Eddie kann mir helfen.»
    «Hast du nicht gesagt, dass wir abends nicht mit drei Leuten auskommen?», fragt Manny.

    «Meinst du wirklich, dass wir heute Abend Essen servieren?»
    «Jedenfalls allen, die kommen.»
    «Dann kriegen wir das schon hin», sagt Ty, «denn es wird niemand kommen.»
    So wie s draußen schneit, hat Ty zweifellos recht, aber Manny will bei diesem Streit nicht den Kürzeren ziehen.
    Wenn man als Geschäftsführer keine überzeugenden Argumente hat, kann man immer noch den Vorgesetzten rauskehren. «Irgendwer kommt bestimmt, und wenn nicht, sind wir trotzdem vorbereitet. Noch haben wir ge öffnet, und wir werden auch noch bezahlt. Ich bin heute nicht hergekommen, um Babysitter zu spielen. Und jetzt lasst uns die Desserts rausbringen und dann sauber machen.»
    Wie alle Halbzeitansprachen löst auch diese keine große Reaktion aus. Ty geht wieder zur Schnellkochplatte, und Rich trottet hinterher. Eddie und Leron drehen sich um, leeren schweigend die Geschirrkästen und räumen alles in normalem Tempo in den Geschirrkorb.
    «Du hast doch gewusst, dass so was passieren würde», sagt Jacquie im Pausenraum.
    «Was?», fragt Manny, aber er weiß, was sie sagen will. Er hat Fredo (genau wie Leron) eingestellt, weil er sich selbst als Jugendlichen in ihm wiedererkannt hat –  noch so ein Junge ohne Zukunft, der nie aus New Britain rauskommen wird. Er hat Fredo eine Chance gegeben, und egal, was passiert, das wird er nie als Fehler ansehen. Er würde gern glauben, dass Fredo es bei einem anderen Koch – jemandem mit mehr Geduld und weniger Wutanfällen – geschafft hätte, doch mit einem solchen Koch hat er nie gearbeitet. Ehrlich gesagt, gibt es einen solchen Koch wahrscheinlich nicht. Der einzige Mensch, der Fredos Begriffsstutzigkeit ertragen könnte, ist Manny selbst.
    «Erstaunlich, dass er überhaupt gekommen ist», sagt Jacquie.
    «Erstaunlich, dass irgendjemand gekommen ist», erwidert Manny. «Erstaunlich, dass ich gekommen bin.»
    «Warum musst du das ins Lächerliche ziehen? Keine Ahnung, ob dir das klar ist, aber viele von uns sind bloß deinetwegen gekommen.»
    «Du zum Beispiel.»
    «Ja, ich zum Beispiel. Meinst du, ich bin gekommen, weil ich nichts Besseres zu tun hatte? Ach ja, stimmt, ich bin hier, um das große Geld zu machen. Mein Gott, Manny, denk doch ausnahmsweise mal nach.»
    Nachdem sie ihn runtergeputzt hat, geht sie, darin hat sie Übung, und er hat Übung darin, ihre Worte hin und her zu wenden, um deren wahre Bedeutung zu verstehen, diese Bedeutung dann aber nicht an sich ranzulassen, weil zwischen ihnen alles provisorisch und vorübergehend ist und, wie es in zierlicher Schrift auf der Speisekarte steht, Änderungen vorbehalten sind.
    Roz kommt mit einem Tablett voll lippenstiftbeschmierten Weingläsern und Bierflaschen mit abgerissenen Etiketten durch die Schwingtür und sieht ihn mit einem wohlwollenden Gesichtsausdruck an, den sie sich normalerweise für kleine Kinder aufspart, eine Art Schmollmund mit vorgeschobener Unterlippe. «Oh‐ooh.
    Sieht aus, als gäb’s Ärger im Paradies.»
    «Das hier soll das Paradies sein?», fragt Manny.
    «Warum nicht, wenn du deine Karten

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