Letzte Rache: Thriller (German Edition)
dies von seiner Verpflichtung ihr gegenüber entbinden. Carlyle dachte einen Moment lang nach. »Okay«, sagte er schließlich. »Halb zehn.«
»Wunderbar!«, sagte sie offenbar wirklich erleichtert. »Was halten Sie davon, wenn wir uns in der Patisserie Valerie auf der Marylebone High Street treffen?«
»Prima«, sagte er, ein wenig aufgemuntert von der Aussicht, dass wenigstens ein gutes Stück Gebäck für ihn dabei heraussprang.
»Gut, ich sehe Sie dort. Einen angenehmen Abend, Inspector.«
»Danke gleichfalls.« Carlyle beendete das Gespräch und warf einen Blick auf Helen, die immer noch in ihre Fernsehsendung vertieft war. Luke Osgood tanzte mittlerweile auf seiner Dschungellichtung herum, nur mit einem gelben Herren-String und einem roten Cowboyhut bekleidet. Er hatte eine Flasche Wein in einer Hand und eine Zigarre in der anderen. Was immer Luke in letzter Zeit mit sich hatte machen lassen, dachte Carlyle, zur Fettabsaugung hatte es jedenfalls nicht gereicht. Angewidert stieß er sich vom Sofa in die Höhe und floh aus dem Zimmer.
Fast zwei Stunden lang lag er im Bett und las im Affentempo die letzten hundert Seiten eines ausgezeichneten italienischen Detektivromans, dessen Held sich dabei ertappte, dass er sich mit wechselndem Erfolg durch den Sumpf von »Korruption, Betrug, Schlägereien und Schurkereien« kämpfte. Carlyle genoss das Buch über alle Maßen. Als er mit der letzten Seite fertig war, klappte er es zu und ließ es mit einem befriedigenden dumpfen Geräusch auf seinen Nachttisch fallen. Solche Bücher sollten in der Schule gelesen werden, dachte er. Sie sollten den sogenannten Literaturexperten in die Hände gedrückt werden, die der Ansicht waren, Kriminalromane wären nur verwickelte Rätsel. Er gähnte ausgiebig und streckte sich unter demFederbett aus. Eine kleine Weile genoss er den Luxus, Leere in seinen Kopf einziehen zu lassen, während er an die Decke starrte. Dann gab er die Hoffnung auf, dass seine Frau in den nächsten Minuten zu ihm kam, schaltete das Licht aus und bereitete sich darauf vor, von Schurken und Schurkereien zu träumen.
Jerome Sullivan trank den letzten Schluck aus seiner Dreiviertelliterflasche Tiger Beer, während er mit dem Kopf im Takt zu dem Rhythmus von T.I.s »Dead and Gone« nickte und dabei heiter grinste, obwohl die Musik so laut lief, dass die Fensterscheiben klirrten. Möglicherweise kam niemand innerhalb eines Umkreises von einer halben Meile um seine Wohnung herum dazu, eine Mütze Schlaf zu nehmen, aber die Nachbarn wussten, dass es keine gute Idee war, sich zu beklagen. Jerome konnte mit Kritik nicht gut umgehen. Der letzte Typ, der sich über sein asoziales Verhalten beschwert hatte, war mit zwei gebrochenen Beinen ins Royal Free Hospital eingeliefert worden.
Der Einunddreißigjährige, der seine Geschäfte von dem bunkerähnlichen Goodwin House aus betrieb, war der größte Dealer mit Skunk und Ecstasy in den Postcode-Bezirken N5, N7, NW5 und NW1. Das in den Achtzigerjahren errichtete vierstöckige Gebäude aus braunem Backstein war perfekt für diesen Zweck geeignet. Es war beinahe so, als hätte die Bezirksverwaltung Camden es auf Bestellung gebaut. Es sah sogar wie eine Festung aus. Die Fenster waren klein und mindestens sieben Meter vom Erdboden entfernt. Wichtiger war, dass es nur einen Weg hinein gab, und der war zu Fuß – es gab keine Zufahrt. Jerome hatte das Potenzial des Hauses erkannt, die obersten zwei Stockwerke gekauft und sich darangemacht, die Befestigungsanlagen des Gebäudes
zu verstärken, sodass die Polizei – sollte sie jemals versuchen, eine Razzia zu machen – mindestens zwei Stunden brauchen würde, um hineinzukommen. Wenn man nicht mit einem Challenger-Panzer durch die Marsden Street angerollt kam und zwei Hundertzwanzig-Millimeter-Geschosse in das Haus jagte, war Nummer siebenundvierzig uneinnehmbar.
Als er die leere Bierflasche aufs Sofa warf, fühlte Jerome sich plötzlich von einer Welle der Langeweile erfasst. Er griff nach seinem neuen Spielzeug, das auf dem Beistelltisch lag, kam torkelnd auf die Beine und trat gegen zwei der Körper, die auf dem Boden zusammengesackt waren. »Steht auf!«, rief er lauter als die Musik. »Wir gehen aufs Dach.«
Zwei Minuten später schwenkte er eine Glock 17 über dem Kopf, während er sich zu der Musik wiegte, die durch den Asphalt unter seinen nackten Füßen drang. Die halb automatische Selbstladepistole Kaliber .9 war früher am selben Tag eingetroffen, das Geschenk
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