Letzte Rache: Thriller (German Edition)
Zwischenzeit irgendjemand draußen auf dem Flur vorbeigeht.«
»Ich verstehe«, sagte die Schwester, die jetzt merklich gelassener war. Sie wandte sich halb zum Gehen und blieb wieder stehen. »Was ist mit den beiden anderen?« Sie deutete auf die Betten, die noch im Zimmer standen. Die Frau, die mit dem Finger auf Carlyle gezeigt hatte, war wieder unter ihrer Bettdecke verschwunden, und die andere Patientin schnarchte so glücklich vor sich hin wie zum Zeitpunkt seiner Ankunft. Entweder hatte sie einen ausnehmend gesunden Schlaf, überlegte Carlyle, oder sie bekam ein wirklich ausgezeichnetes Schlafmittel verabreicht.
Er traf eine spontane Entscheidung. »Lassen Sie sie im Moment, wo sie sind. Wir müssen mit ihnen beiden reden. Aber ich werde dafür sorgen, dass sie so bald wie möglich verlegt werden können.«
»Okay.« Sie drehte sich um und verließ schnell das Zimmer.
Als sie gegangen war, wandte sich Carlyle von dem Tatort ab und nahm den Deckel von Joyce’ Kaffee ab. Vorsichtig trank er einen Schluck. Er war höchstens noch lauwarm, aber er war stark und schmeckte gut. Er würde ihn bestimmt nicht wegwerfen. »Spare in der Zeit, dann hast du in der Not«, sagte er zu niemand im Besonderen. »Schließlich wird dies eine lange Nacht werden.«
Im Endeffekt verbrachte Carlyle fast vier Stunden im Krankenhausflur, bevor er nach Hause gehen durfte. Seine neuen Kumpel Nick Chan und Greg Brown waren erst nach zwei Stunden auf der Bildfläche erschienen, und dann hatte es noch eine Stunde gedauert, bis sie bereit waren, mit ihm zu sprechen. Soweit es Carlyle anging, war das okay. Bei dieser Gelegenheit würde er die professionelle Höflichkeit und Hilfsbereitschaft in Person sein müssen. Zunächst einmal war er in einem gewissen Erklärungsnotstand. Chan und Brown konnten ihn ganz schön auflaufen lassen, falls sie wollten. Er konnte an ihr Wohlwollen appellieren, aber Carlyle wusste, dass das keine gute Idee war. Andernfalls konnte er sie nur in seine Überlegungen einweihen, was eine mögliche Verbindung mit der Ermordung von Agatha Mills betraf, und abwarten, ob ihre Vorstellungskraft sich daran entzündete.
»Klingt in meinen Ohren nach einem ziemlichen Blödsinn«, sagte Brown unwillig, nachdem er ihnen seine Sicht der Dinge erläutert hatte.
Carlyle schaute Chan an.
Der schüttelte den Kopf. »›Blödsinn‹ ist die höfliche Art, es zu formulieren.«
Carlyle sah ein, wie angemessen ihre Reaktion war, und zuckte mit den Achseln. »Der verstorbene Mr Joyce hier hat irgendjemandem eine SMS geschickt, bevor ich in das Café ging, weil er überprüfen wollte, ob Mills zu derselben Gruppe gehörte wie seine Freundin. Hat er eine Antwort bekommen?«
»Ich gehe mal nachsehen.« Brown machte sich auf den Weg.
Chan schaute ihm nach und wandte sich an Carlyle. »Die Pistole ist ein israelisches Fabrikat, die Jericho 941, ungefähr fünfzehn Jahre alt. Nicht sehr verbreitet in diesem Land.«
»Überhaupt nicht sehr verbreitet«, stimmte Carlyle zu.
Brown erschien wieder. »Keine Nachrichten für Mr Joyce am heutigen Abend, aber wir können versuchen, den Empfänger der SMS festzustellen, die er verschickt hat.«
»Gut.« Chan wandte sich Carlyle zu. »Inspector«, sagte er, »Sie können jetzt nach Hause gehen. Wir melden uns bei Ihnen.«
»Schön«, sagte Carlyle, als er zu den Fahrstühlen ging. »Sie wissen ja, wo ich zu finden bin.«
Siebenundzwanzig
Carlyle balancierte vorsichtig eine zerbrechliche und teuer aussehende Tasse mit Untertasse auf dem Knie und wartete darauf, dass Claudio Orb einen Schluck von seinem Tee nahm. An der Wand links von ihm hing oben ein großes Foto einer in Chanel gehüllten Frau, bei der es sich vermutlich um die derzeitige chilenische Präsidentin handelte. Licht strömte durch die Fenstertür hinter dem Botschafter herein, die auf einen kleinen Balkon führte, von dem man den belebten Platz draußen im Blick hatte.
Er war fast auf Grund einer Laune hierhergekommen. Als Henry Mills vor diesen Lieferwagen gelaufen war, hatte sich sein Fall offensichtlich von selbst gelöst. Er konnte problemlos zu den Akten gelegt werden, und niemand würde einen weiteren Gedanken daran verschwenden. Sandra Groves war Chans Problem. Carlyle konnte eine Weile die Füße hochlegen und darauf warten, dass der nächste Haufen Unrat bei ihm ankäme. Als ruhelose Seele wusste er allerdings, dass er sich damit nicht zufriedengeben konnte. Der Eindruck, dass an dieser Sache mehr dran war, als
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