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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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Verbeugung machte. »Chlebnikow. Pelzhändler. Felle. Tierhäute.« Er deutete auf sein Gepäck. »Wolf. Bär. Seelöwe!«
    Warum will mir jemand so spät am Abend einen Pelzmantel aufschwatzen, dachte sie, was sucht der Mann hier?
    »Reise um die ganze Welt, Euch zu finden. Mile End, Stepney, an grauem Fluß. Ihr wollt meine Häute sehen?«
    Elizabeth schüttelte den Kopf. »Warum habt Ihr mich gesucht?«
    Er bückte sich und öffnete seine Tasche. Seine Hose, gemacht aus einem Material, das an Samt erinnerte, spannte um seine Hüften. Er fing ihren Blick auf und strich mit der Hand über den Stoff.
    »Säugling von Seehund«, sagte er. »Ihr findet interessant? Alles in Tasche, Ihr werdet sehen. Aber zuerst …«
    Aus den Tiefen der Reisetasche hatte er ein flaches rechteckiges Paket hervorgezogen, das er nun in die Höhe hielt.
    »Zweck von Reise! Aushändigen an Madam Cook oder Söhne. Von Hand in Hand.«
    Sie nahm das Paket von ihm entgegen.
    »Vollbracht«, seufzte der Mann und begann erneut in seiner Tasche zu kramen.
    »Setzt Euch doch«, sagte Elizabeth. »Möchtet Ihr etwas trinken? Von wem kommt dieser Brief?«
    Der Mann setzte sich an den Kamin, und dankbar ließ sich Elizabeth wieder in ihren Sessel sinken. Das Paket war in Segeltuch gewickelt und mit kleinen Stichen Eisengarn sorgfältig zugeheftet. Das Tuch war fettig und mit dunklen Flecken beschmutzt. In schwungvoller Handschrift stand ihr Name darauf. Ihre Adresse. Mit Ausziehtusche, wie gemalt. Sie ließ das Paket auf ihren Schoß fallen und legte die Hände darüber. Der Mann hatte sich ein Glas eingeschenkt und trank schmatzend von dem Port.
    »Ich erzähle Euch Märchen. Ihr hört. Ich kaufe Felle von Jägern. Sie können nicht Handel machen, sprechen keine Zunge. Sprache. Ich reise nach Kamtschatka mit Geld, reise zurück mit Pelz. Mit Pferd, mit Schlitten, zu Fuß. Ich habe Schiffe gesehen. Kranker Kapitän kam nicht an Land. Aber Männer von ihm wollten meine Häute kaufen! Für Mütze! Sogar für Schuhe! Sie erzählten kranker Kapitän von meiner Reisekunst.«
    »Kapitän Clerke ist schon vor mehr als vier Jahren gestorben«, sagte Elizabeth. »Seine letzten Briefe trafen hier 1780 ein.«
    »Dies ist letzter Brief«, polterte der Mann, während er mit einem Riesenfinger auf ihren Schoß deutete. »Andere Briefe waren für Admiralherren. Gab er Gouverneur. Das war öffentlich. Aber dann. Aber nachts! Etwas kratzt an meinem Fenster. Vogel, denke ich. Klopfen. Flüstern. Ein Matrose! Zieht mich am Arm. Wir schleichen durch Schnee. Ich muß in kleines Boot! Durch Nebel über Wasser. Nichts sehe ich, blind bin ich! Ich sage Euch: Angst packte mich. Weiße See nahm kein Ende. Dann: schwarzer Berg. Das Schiff. Tauleiter mußte ich hinauf, ich sah nicht, wohin. Fürchtete mich. Bin Mann von Land. Sie brachten mich zu kranker Kapitän. Schlechte Luft. Er spuckte in Schüssel. Weg, sagte er zu Dienern, Tür zu, laßt mich allein mit berühmtem Pelzhändler! Sein Gesicht weiß wie alter Schnee. Er grub unter Kissen und gab Brief. Sehr geheim, sagte er. Nur an Madam geben. Oder Söhne. Sonst in Wasser von grauem Fluß. Ihr fahrt im Herbst? Ich fahre im Herbst, sagte ich. Moskau, Warschau, Paris. Mit Fellen. Ihr könnt beruhigt sein. Ich kümmere mich!«
    »Es hat Verzögerungen gegeben, nehme ich an.«
    Der Mann riß die Augen weit auf. »Verehrte Madam! Handel geht nicht immer gleich. Erster Pfannkuchen Klumpen? Pech. Noch einmal versuchen! Und immer Brief von kranker Kapitän auf Brust!« Er klopfte sich auf den Brustkasten, der Schlag hallte wie ein gedämpfter Gong wider. In bildhaften Beschreibungen schilderte er die Gefahren des Reisens, einen Überfall, eine Schlägerei, und wies dabei dezent auf den Preis der Fahrt über das verhaßte Wasser hin. Was den Verkauf der Felle betraf, sei es auch nicht nach Wunsch verlaufen, und den rechten Zugang zu bemittelten Londoner Damen habe er noch nicht gefunden.
    Er zog einen gräulichen Pelz aus der Reisetasche und breitete ihn auf dem Boden aus.
    »Für Euch? Echter Frauenwolf! Ich mache Euch Sack für müde Füße. Und hier, Wunder von Sibirien, für Mantel bis Ewigkeit. Für Euch!«
    Er warf einen immensen Pelzhaufen auf ihren Schoß, ein silbrig glänzendes Fell, das im Kerzenlicht mal blaugrau, mal goldfarben aufschimmerte. Sie fuhr mit der Hand über die kurzen glatten Haare und dachte an die Schönheit des Tieres, das diese Haut besessen hatte, wie unfaßbar es war, ein solch wunderschönes

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