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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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dort beobachtete ich die Geschehnisse mit Hilfe des Fernglases.
    James ruderte mit einem Trupp Marinesoldaten an den Strand. Sie wurden abgesetzt und rannten durch das aufspritzende Wasser. Das Boot wartete diesseits der Brandung. Leutnant Williamson führte den Befehl. Am Waldrand, hinten auf dem Strand, wurde beratschlagt. Nach einiger Zeit erschien James mit dem Häuptling und dessen beiden kleinen Söhnen. Zahllose Hawaiianer strömten herbei. Ich sah ihre ungeduldigen Gebärden und stampfenden Beine. Sie umzingelten James und die Marinesoldaten auf dem Strand.
    Da gab James den Befehl zu schießen, seine Stimme schallte über das Wasser. Die Soldaten legten an und feuerten, nicht mit Schrot, wie es gebräuchlich war, sondern mit scharfer Munition. Auch James schoß. Ein Eingeborener nach dem anderen fiel blutend in den Sand. Es war ein Gemetzel.
    Mitten im Gefecht drehte James sich um und ging langsam ins Wasser, den Rücken den Eingeborenen zugekehrt. Jemand stieß ihn nieder.
    Da war es geschehen. Er hob den Arm zu Williamson im Boot hin, um das Feuern auch von dieser Seite her zu ermuntern. Doch fünf Mann stürzten sich auf ihn, da war nichts mehr zu machen. Die überlebenden Marinesoldaten, vier waren schon gefallen, schwammen panisch zum Boot. Die Leichen wurden am Strand zurückgelassen. Ich ließ fassungslos das Fernglas sinken. Die hoch aufragende Bergkette, die bis dahin immer ein ästhetischer Genuß für mich gewesen war, hatte auf einmal einen düsteren, vorwurfsvollen Anstrich. Ich fröstelte, obgleich die Sonne schon erbarmungslos aus dem Morgennebel emporgestiegen war.
    Die Grausamkeit verbreitete sich wie eine Plage. Die Mannschaft hätte am liebsten alle Insulaner mitsamt ihrem Besitz vernichtet. Mit tiefer Scham, denke ich an jene Tage zurück. Das ganze Dorf in Flammen. Dutzende brutaler Morde beim Wasserfassen. Enthauptungen. Einem Mann, der als Gefangener an Bord gebracht wurde, hängte man die triefenden Köpfe vors Gesicht, und er fiel vor Angst in Ohnmacht. Ja, es war eine Krankheit.
    Das einzige, was ich wollte, waren die Körper der Toten. Um das zu erreichen, mußten die Racheakte aufhören und Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Gang kommen. Im Schutz der Dunkelheit brachten uns zwei Priester ein Paket, das wir in meiner Kajüte schaudernd öffneten. Ein Fleischklumpen in Bananenblättern: eine Gesäßhälfte von James. Ausgeblutet, gelblich.
    Erst sechs Tage nach dem Gefecht gelangten wir zu einem Übereinkommen. Danach kamen die Insulaner mit Opfergaben und einem Bündel aus diesem prächtigen, feuerroten Gewebe, das sie aus Baumrinde machen. James' Kopfhaut war darin, die Haare steif vom geronnenen Blut. Die Knochen von Armen und Beinen. Der Schädel, seltsam klein, weil der Kiefer fehlte. In ein separates Tuch waren die Hände gewickelt. Daran war noch Fleisch, eingeschnitten und mit Salz gespickt. Wir erkannten die Narbe an seiner rechten Hand.
    Die Marinesoldaten waren von der Bevölkerung verspeist worden. James' Leichnam war in Stücke gehackt und unter die Häuptlinge der verschiedenen Provinzen der Insel verteilt worden. Deshalb dauerte es so lange, alles wieder zusammenzubringen. Was mit Rippen und Beckenring passiert ist, weiß ich nicht. Was meiner Meinung nach mit dem Fleisch, den Geschlechtsteilen und den Augen passiert ist, wage ich nicht zu Papier zu bringen.
    Am nächsten Morgen meldete sich der Häuptling erneut und brachte uns die Füße, die Schuhe, den Kiefer mit den gesunden, makellosen Zähnen noch darin, und den verbogenen Gewehrlauf. Am Tag darauf haben wir alle Reste von James bestattet. Wir beschwerten den Sarg mit Kanonenkugeln.
    Einen furchtbaren Vorfall muß ich noch schildern. Ich war selbst nicht dabei, ich lag im Bett, in James' Bett, das nun mein Bett war, denn ich war auf die Resolution umgezogen, als mir das Kommando zufiel. In der Nacht des 14. Februar kamen die Offiziere zusammen; sie tranken große Mengen Branntwein und Rum und grölten laut. Zwischen ihnen auf dem Tisch lagen Kleider und Habseligkeiten von James auf einem Haufen, um die sie würfelten – seine Hemden, seine Uniform, seine Stiefel, Uhr, Taschentücher, Besteck, Bürste, Perücke, alles, alles, Elizabeth, alles haben sie sich angeeignet und untereinander aufgeteilt. Ich hörte es erst Wochen später von einem der Leutnants, der sich im nachhinein schämte. Ich werde seinen Namen nicht nennen.
    Den Grund für dieses respektlose Verhalten kenne ich nicht. Es ist nie

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