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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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war einmal.
    Sie ging hinter James her an Deck, wo sie in die ausgelassene Menge aufgenommen wurde. Jemand reichte Wein herum, und eine Frau in gelbem Kleid prostete ihr auf die wohlbehaltene Heimkehr zu, auf den Erfolg, auf die Zukunft! Sandwich stieg auf ein Podest und begann, als der kräftige Applaus verstummt war, eine lange Ansprache. Elizabeth lehnte sich an die Reling und schaute. Sie ähneln Rennpferden, die hohen Herren, sie haben längliche Pferdeköpfe und dünne Beine. Ihr James war ein Zugpferd, das im falschen Stall gelandet zu sein schien. Er hatte sich von den Unterschieden einschüchtern lassen, doch das war nun offenbar vorbei. Sie sah ihn neben Hugh Palliser stehen. Die beiden waren aus dem gleichen Holz geschnitzt. Palliser sah sie an, sie nickte und wandte ihre Aufmerksamkeit der Ansprache zu.
    Sandwich zog eine Liste aus seiner Jackentasche und begann unter lautem Jubel der Anwesenden, die Beförderungen zu verlesen. Als erstes waren die Offiziere an der Reihe, danach ernannte er Gierke zum Kapitän der Resolution und bot ihm mit eleganter Gebärde das Schiff dar, auf dem sie sich befanden. Die Gläser wurden nachgefüllt, und ein Matrose ging mit einem Tablett voll Pastetchen herum. Zum Schluß nannte Sandwich James. Eine Stille trat ein, in der er langsam und deutlich den Admiralitätsentscheid vorlas, Kapitän Cook zum vierten Kapitän am Marinehospital zu ernennen. Elizabeth blickte auf das Gesicht ihres Mannes, dem keinerlei Ausdruck zu entnehmen war.
    »Um Ihnen einen Eindruck vom Leben auf diesem wunderbaren Schiff zu vermitteln, bietet Ihnen Leutnant Pickersgill eine Führung an«, schloß Sandwich.
    Der Leutnant, ein muskulöser kleiner Mann mit kantigem Gesicht, stand an der Tür zur großen Kajüte bereit. Ein Grüppchen von Gästen, vor allem Frauen, drängte sich um ihn. Er mahnte zur Vorsicht, Böden und Treppenstufen seien rutschig, und zeigte auf die Satinschuhe, die glatten Sohlen.
    Sie wollte das ganze Schiff sehen, sie wollte alles sehen. Die gackernde Neugierde der Gesellschaft, in der sie sich ungewollt befand, beschämte sie. Die Frauen wollten schaudern und sich gruseln, sie stießen spitze Schreie aus, als Pickersgill drohend eine Peitsche schwang, und schlugen die Hände vors Gesicht, als er ihnen die Öffnungen zeigte, die der Besatzung als Latrine dienten.
    Worauf sie aus gewesen war, wußte sie nicht genau. Es fühlte sich wie ein Abschied an. In der großen Kajüte stand der kleine dunkle Sekretär, den James gern mitnahm, um daran zu schreiben. Sie unterdrückte die Anwandlung, die Schubladen aufzuziehen. Was wollte sie finden? Ein zusammengefaltetes Papier mit einer Kinderlocke darin? In wenigen Tagen würden Admiralitätsdiener das Möbel über ihren Gartenweg hereintragen, an seinen festen Platz in der Diele.
    Sie löste sich von der Gruppe und irrte durch die niedrigen Räume, stieg Treppen hinunter und wand sich durch enge Gänge. Die Luft hier unten war erstickend, sie atmete tief ein und schmeckte Fäulnis, scharfe Verwesung unter einem Deckmantel aus Essig und Schwefel.
    Alle übriggebliebenen Vorräte waren bereits von Bord gebracht und vernichtet worden: die Fässer mit gepökeltem Fleisch, die Kisten mit von Maden und Mäusen angefressenem Schiffszwieback und die Tonnen mit fauligem Wasser, doch im Holz hing noch ein Hauch von Gestank.
    Die Arme eng an den Körper gedrückt, stand sie in der kleinen Kombüse. Boden und Wände waren gekachelt und saubergeschrubbt. Wie konnte man in diesem winzigen Raum Essen für mehr als hundert Mann zubereiten? Jeden Tag dreimal, während eines Sturms, einer Hitzewelle?
    Sie stieg zu den Räumen hinunter, wo die Vorräte gelagert wurden. Vor der Abreise verbrachte James Tage damit, ein Lagerungssystem zu entwerfen. Er berücksichtigte eine Vielzahl von Faktoren: Leicht verderbliche Waren mußten trocken bleiben, Schießpulver und Alkohol hatten bewacht zu werden, Geschenke für die Einheimischen brauchten nicht vorn zu liegen, und noch vieles mehr. Bis ihn sein Plan schließlich zufrieden stimmte. Den betrachtete er als Geheimnis, das er nur einer ausgewählten Gruppe von Schauerleuten anvertraute. Alle staunten über die Riesenmengen, die er an Bord unterzubringen verstand.
    Beengt, begrenzt, das war der Eindruck, den das Schiff vor allem auf sie machte. Die Menschen dachten an Weite und Unendlichkeit, wenn sie sich eine Seereise vorstellten. Das müsse man aushalten können, ohne sich von Angst übermannen zu lassen.

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