Letzte Worte
Papiere verstreut. Auf seinem Schreibtisch drängten sich aufgeschlagene Bücher und leere Red-Bull-Dosen. Sein uralter Laptop gab ein Geräusch wie ein erschöpftes Seufzen von sich, als er auf Stand-by schaltete. Eigentlich musste Jason arbeiten, aber in seinem Kopf drehte sich alles. Länger als ein paar Minuten konnte er sich nicht auf irgendetwas konzentrieren– nicht auf die kaputte Lampe auf seinem Schreibtisch oder die E-Mails, die sein Konto überfluteten, und auf jeden Fall nicht auf den Essay, an dem er eigentlich arbeiten sollte.
Jason legte den Handballen knapp unterhalb der Tastatur auf den Laptop. Das Plastik fühlte sich heiß an. Der Ventilator, der die Hauptplatine kühlte, hatte vor ein paar Tagen angefangen zu klicken, ungefähr zu der Zeit, als er sich beinahe eine Verbrennung dritten Grades an den Beinen geholt hätte, weil er den Computer immer auf die Oberschenkel legte. Er vermutete, dass zwischen dem Akku und dem Ladegerät in der Wandsteckdose irgendetwas Schlimmes passierte. Auch jetzt lag ein leichter Geruch von schmorendem Plastik in der Luft. Jason griff nach dem Ladegerät, zog es aber nicht aus der Steckdose. Er kaute auf seiner Unterlippe, während er das Stromkabel in seiner Hand anstarrte. Wollte er, dass das Gerät sich überhitzte? Ein kaputter Laptop wäre eine Katastrophe. Vielleicht wäre dann seine Arbeit verloren, seine Fußnoten und die Rechercheergebnisse, und das letzte Jahr seines Lebens wäre zu einem riesigen Haufen stinkenden Plastiks zusammengeschmolzen.
Und dann?
Er hatte keine Freunde mehr. Alle im Wohnheim gingen ihm aus dem Weg, wenn er auftauchte. Niemand redete in den Vorlesungen mit ihm oder fragte ihn, ob er sich seine Notizen ausleihen könne. Seit Wochen war er abends nicht mehr ausgegangen. Von seinen Professoren abgesehen konnte Jason sich nicht erinnern, seit der Woche vor den Osterferien mit irgendjemandem ein ernsthaftes Gespräch geführt zu haben.
Mit keinem Menschen außer mit Allison, aber das zählte nicht. In letzter Zeit redeten sie nicht mehr wirklich miteinander. Alles endete immer in Streitereien wegen der blödesten Sachen– wer die Pizza bestellen sollte, wer vergessen hatte, die Tür zu schließen. Sogar der Sex war schlecht. Aggressiv. Mechanisch. Enttäuschend.
Jason konnte es Allison kaum verdenken, dass sie ihn im Augenblick hasste. Er konnte überhaupt nichts richtig machen. Sein Essay war das reinste Chaos. Seine Noten wurden kontinuierlich schlechter. Das Geld auf dem Treuhandkonto seines Großvaters ging zur Neige. Sein Vater hatte ihm zwölftausend Dollar als Ergänzung seines Stipendiums und der Studiendarlehen hinterlassen. Damals war ihm das als riesige Summe erschienen. Jetzt, nach dem ersten Jahr seines Masterstudiums, kam es ihm lächerlich wenig vor. Und diese lächerliche Summe wurde mit jedem Tag kleiner.
Kein Wunder, dass er so deprimiert war und kaum die Kraft hatte, den Kopf zu heben.
Was er wirklich wollte, war Allison. Nein, vergiss es– er wollte die Allison, die er ein Jahr und elf Monate lang gekannt hatte. Diejenige, die lächelte, wenn sie ihn sah. Die nicht alle fünf Minuten in Tränen ausbrach und ihn anschrie, er sei ein Mistkerl, wenn Jason sie fragte, warum sie traurig war.
» Deinetwegen « , sagte sie dann, und wer wollte das hören? Wer wollte sich das Elend eines anderen vorwerfen lassen, wenn man knietief im eigenen Mist steckte?
Jason ging es wirklich schlecht, und das strahlte er aus wie die Hitze der Wärmelampe über den Pommes im McDonald’s. Er wusste nicht mehr, wann er das letzte Mal geduscht hatte. Er konnte nicht schlafen. Nichts konnte sein Gehirn so weit beruhigen, dass er sich entspannen konnte. Sobald er sich hinlegte, gingen seine Lider auf und zu wie ein träges Jo-Jo. Die Dunkelheit brachte ihm alles wieder frisch ins Gedächtnis, und bald darauf drückte das Monstergewicht der Einsamkeit so schwer auf seine Brust, dass er fast keine Luft mehr bekam.
Allison war das egal. Von ihr aus konnte er auch tot sein. Seit sich das Wohnheim vor drei Tagen über die Thanksgiving-Ferien geleert hatte, hatte er kein menschliches Wesen mehr gesehen. Sogar die Bibliothek hatte am Sonntag bereits am frühen Nachmittag geschlossen, die letzten Nachzügler standen noch auf der Treppe herum, als das Personal schließlich die Türen absperrte. Von seinem Fenster aus hatte Jason sie weggehen sehen, und er hatte sich gefragt, ob sie allein sein würden, ob sie irgendjemanden hatten, mit dem
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