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Letzte Worte

Letzte Worte

Titel: Letzte Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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sie die Ferien verbringen konnten.
    Bis auf das ununterbrochene Geplapper des Cartoon Networks und Jasons gelegentliche Selbstgespräche war das ganze Gebäude völlig still. Sogar die Hausmeister hatten sich seit Tagen nicht gezeigt. Wahrscheinlich durfte Jason sich gar nicht im Gebäude aufhalten. Die Heizung war abgestellt worden, nachdem die letzten Studenten gegangen waren. Er schlief in seinen wärmsten Klamotten, zusätzlich noch zugedeckt mit dem Wintermantel. Und der einzigen Person, die sich darüber Gedanken machen sollte, war es offensichtlich völlig egal.
    Allison Spooner. Wie hatte er sich nur in ein Mädchen mit einem so blöden Namen verlieben können?
    Tagelang hatte sie ihn wie eine Verrückte angerufen, und dann seit gestern– nichts mehr. Jason hatte gesehen, wie jedes Mal ihre Anruferkennung aufleuchtete, war aber nicht drangegangen. Ihre Nachrichten lauteten immer gleich: Hey, ruf mich an. Würde es sie umbringen mal was anderes zu sagen? Würde es sie umbringen zu sagen, dass sie ihn vermisste? Er konnte sich noch gut an das Gespräch erinnern, als er sie genau das gefragt und sie geantwortet hatte: » Weißt du was? Du hast recht. Ich sollte eine bessere Freundin sein. «
    Gespräche. Eher Einbildungen.
    Drei Tage hatte das Handy fast ununterbrochen geklingelt. Er hatte schon Angst, dass Allisons Anruferkennung sich ins Display einbrennen würde. Er sah zu, wie die Balken für die Akkuladung einer nach dem anderen verschwanden. Bei jedem Balken sagte er sich, er würde abheben, wenn sie anrief, bevor der nächste verschwand. Schließlich hatte das Handy sich ganz abgeschaltet, als er schlief. Jason war in Panik geraten, während er nach dem Ladegerät suchte. Er hatte es eingesteckt und dann– nichts mehr.
    Ihr Schweigen war laut und deutlich. Man gab jemanden nicht einfach so auf, wenn man ihn liebte. Man rief immer wieder an. Man hinterließ Nachrichten, die persönlicher waren als: Hey, ruf mich an. Man entschuldigte sich. Man schickte nicht alle zwanzig Minuten eine SMS mit der Frage: Wo bist du? Man hämmerte an die Tür und schrie aus Leibeskräften, bitte, bitte, komm endlich raus.
    Warum hatte sie ihn aufgegeben?
    Weil er keinen Mumm hatte. Genau das hatte sie ihm gesagt, als sie das letzte Mal miteinander geredet hatten. Jason war nicht Manns genug, um zu tun, was getan werden musste. Er war nicht Manns genug, sich um sie zu kümmern. Vielleicht hatte sie recht. Er hatte wirklich Angst. Sooft sie darüber redeten, was sie tun sollten, spürte er, wie seine Eingeweide sich verkrampften. Er wünschte sich, er hätte nie mit diesem Arschloch aus der Stadt gesprochen. Er wünschte sich, er könnte alles zurücknehmen– alles, was sie in den letzten zwei Wochen getan hatten. Allison tat so, als käme sie mit alldem gut zurecht, aber er wusste, dass auch sie Angst hatte. Es war noch nicht zu spät. Sie konnten aus dieser Geschichte noch herauskommen. Sie konnten so tun, als würde das alles nicht passieren. Wenn Allison nur einsehen würde, dass es einen guten Ausweg nicht gab. Warum war Jason der einzige Mensch auf dieser ganzen verdammten Welt, der mit einem Gewissen geschlagen zu sein schien?
    Plötzlich war draußen Lärm zu hören. Er stieß die Tür auf und trat auf den Flur. Jason stand im Dunkeln da und schaute sich panisch um. Niemand war da. Niemand beobachtete ihn. Er war einfach nur paranoid. Angesichts der vielen Red Bulls, die er getrunken hatte, und den zwei Tüten Cheetos, die in seinem Magen lagen wie ein Stein, war es kein Wunder, dass er nervös war.
    Jason ging in sein Zimmer zurück. Er öffnete das Fenster, um ein wenig frische Luft hereinzulassen. Der Regen hatte nachgelassen, aber schon seit Tagen war am Himmel keine Sonne zu sehen. Er schaute auf seinen Wecker, weil er nicht mehr so recht wusste, ob es Vormittag oder Nacht war. Es war kurz vor Mitternacht. Ein kühler Wind wehte, aber er hatte sich jetzt schon so lange in seiner Bude verkrochen, dass ihm die frische Luft sehr willkommen war, auch wenn sie so kalt war, dass ihm der Atem in einer Wolke vor dem Gesicht stand. Draußen sah er den leeren Studentenparkplatz. In der Ferne bellte ein Hund.
    Er setzte sich wieder an seinen Schreibtisch und starrte die Lampe neben seinem Laptop an. Der Hals war gebrochen. Der Lampenschirm hing nur noch an zwei Drähten, so als würde die Lampe beschämt den Kopf hängen lassen. Das Licht warf merkwürdige Schatten durch das Zimmer. Er hatte die Dunkelheit noch nie

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