Letzter Akt in Palmyra
Muß. Selbst dann sind die Chancen allerdings gering, wegen der Geheimniskrämerei der Priester und der gewaltigen Menschenmengen.
Im August kann man nur in dem riesigen Hof herumwandern wie ein verirrter Wasserfloh im Volusinus-See, und muß sich von allen anhören, was für eine tolle Sache man verpaßt hat. Das war das, was ich tat. Ich schlenderte zwischen dem Altar und dem Wasserbecken für rituelle Waschungen herum, beides mächtige Beispiele ihrer Art, und schaute dann traurig auf die geschlossenen Portale des enorm hohen und opulent dekorierten Portikus. (Gemeißelte, monolithische Stützbalken und treppenförmige Mauerzacken, falls es Sie interessiert.) Man hatte mir gesagt, das Allerheiligste sei ein architektonisches Wunder. Wenn das Ding allerdings geschlossen ist, kann es den Memoiren nicht viel Farbe verleihen.
Der andere Grund, im August Palmyra zu meiden, sind die unerträgliche Hitze und Helligkeit. Ich war den ganzen Weg von unserem Lager vor dem Damaskus-Tor durch die Stadt zu Fuß gegangen. Vom Tempel der Allat – einer strengen Göttin, bewacht von zwei zehn Fuß hohen Löwen mit vergnügten Gesichtern, die einer geschmeidigen Gazelle Schutz boten – war ich zum Tempel des Bel am anderen Ende der Stadt getrabt, der den Herrn des Universums selbst beherbergte, plus zwei seiner Kollegen, einen Mond- und einen Sonnengott namens Aglibol und Yarhibol. Die Fülle der in dieser Stadt verehrten Gottheiten ließ die zwölf Götter des römischen Olymps wie eine mickrige Picknickgesellschaft aussehen. Da die meisten Tempel in Syrien von riesigen offenen Höfen umgeben sind, in denen sich die Sonne fängt, wurden die Hunderte palmyrischer Gottheiten, selbst in ihren dunkel abgeschirmten Adytons, regelrecht geröstet. Doch so heiß wie Trotteln wie mir, die einen Marsch quer durch die Stadt riskierten, war ihnen sicher trotzdem nicht.
Die Zisternen der schwefelhaltigen Quellen enthielten nur wenig Wasser, und die umliegenden Gärten bestanden nur noch aus verdorrtem Gestrüpp und um ihr Leben kämpfenden Sukkulenten. Der Geruch heißer, therapeutischer Dämpfe konnte es nicht mit den durchdringenden Duftschwaden einer Stadt aufnehmen, deren wichtigster Import schwere parfümierte Öle waren. Strahlendes Sonnenlicht prallte von staubigen Straßen ab, grillte die Kamelfladen und legte sich dann warm um Tausende von Alabasterkrügen und Ziegenlederflaschen. Die vermischten Düfte erwärmter orientalischer Balsame und kostbarer Öle verstopften meine Lunge, sickerten mir in die Poren und hängten sich in die Falten meiner Gewänder.
Mir schwirrte der Kopf. Von den schwankenden Stapeln bronzener Plaketten und Statuen, endloser Seiden- und Musselinballen, tief schimmernder Jade und dem dunkelgrünen Glimmern östlicher Töpferwaren war mir bereits schwindlig. Elfenbein, so dick wie Baumstämme, war unordentlich neben Ständen aufgestapelt, die Fett oder Dörrfleisch und getrockneten Fisch verkauften. Angepflockte Rinder warteten auf Käufer und brüllten die Händler an, die Berge vielfarbiger Gewürze und Henna verkauften. Juweliere wogen so beiläufig Perlen in kleinen Waagschalen ab, wie römische Süßwarenhändler Pistazienkerne in Tütchen aus alten Schriftrollen werfen. Straßenmusikanten mit kleinen Handtrommeln gaben Poetisches in Sprachen und Versmaßen zum besten, die ich noch nicht mal im Ansatz verstand.
Palmyra ist ein mächtiges Handelszentrum und daher davon abhängig, seinen Besuchern beim Abschließen von Verträgen zu helfen. In den verstopften Straßen waren selbst die vielbeschäftigten Händler bereit, stehenzubleiben und sich meine Fragen anzuhören. Wir konnten uns radebrechend auf Griechisch verständigen. Die meisten versuchten, mir den Weg zu zeigen. Nachdem sie mich als Mann mit einer Mission erkannt hatten, bestanden sie darauf, mir zu helfen. Kleine Jungen wurden losgeschickt, um andere Leute zu fragen, ob sie die Adresse kannten, nach der ich gefragt hatte. Alte Tattergreise mit knotigen Stöcken tappten gebeugt neben mir durch verwinkelte Gassen, um Häuser zu überprüfen. Mir fiel auf, daß die Hälfte der Bevölkerung schlechte Zähne und viele deformierte Arme hatte. Vielleicht waren die heißen Quellen ja doch nicht so gesund; vielleicht war das schwefelhaltige Quellwasser sogar der Grund für diese Deformationen.
Schließlich fand ich im Stadtzentrum das Heim eines wohlhabenden palmyrischen Bürgers, der ein Freund von Habib war, dem Mann, den ich suchte. Es war eine
Weitere Kostenlose Bücher