Letzter Akt in Palmyra
zu Gemüte führen dürfen?« Helena strampelte wütend, was zu mehr spielerischer Tändelei hätte führen können, wenn unser sonnendurchwärmter Felsensitz nicht neben einem vielbegangenen Pfad gelegen hätte. Irgendwo polterte ein Stein herab. Die beiden Stimmen, die wir gehört hatten, fielen uns wieder ein, und wir fürchteten, ihre Besitzer würden zurückkommen. Ich überlegte kurz, ob wir den Hang hinauf verschwinden könnten, aber seine Steilheit und Steinigkeit sahen wenig vielversprechend aus.
Ich reiste gern mit Helena – abgesehen von der frustrierenden Folge kleiner Hütten und beengter Unterkünfte, in denen wir zur Keuschheit verdammt waren. Plötzlich sehnte ich mich nach unserer Mietwohnung im sechsten Stock, zu der nur wenige Störenfriede heraufkeuchten und nur die Tauben auf dem Dach zuhörten.
»Laß uns nach Hause gehen.«
»Was – in das kleine Kabuff?«
»Nach Rom.«
»Sei doch nicht albern«, höhnte Helena. »Wir steigen jetzt auf den Gipfel.«
Der Gipfel hatte mich nur als Gelegenheit interessiert, um unbeobachtet an Helena herumfummeln zu können. Trotzdem setzte ich meine ernste Touristenmiene auf, und wir gingen weiter.
Die Opferstätte kündigte sich durch zwei ungleiche Obelisken an. Vielleicht verkörperten sie die Götter. Sollte dem so sein, dann waren sie primitiv, mysteriös und absolut fremdartig im Vergleich zu dem menschenähnlichen römischen Pantheon. Man hatte für sie offenbar keine Steine hierher geschleppt, sondern den umliegenden Fels sechs bis sieben Meter tief weggeschlagen, und diese dramatischen Wächter übriggelassen. Die dafür aufgewandte Mühe war enorm, und die Wirkung ausgesprochen unheimlich. Entstanden war ein ungleiches Zwillingspaar, der eine etwas größer, der andere mit breiterem Sockel. Dahinter lag ein Gebäude mit dicken Mauern, das wir lieber nicht erforschten; dort lauerten womöglich Priester mit gezückten Opfermessern.
Wir kletterten weiter, erreichten über eine steile Treppe die Plattform, wo die Zeremonien auf einem windumwehten Vorsprung abgehalten wurden. Dieser hohe, windige Fels bot nach allen Seiten eine atemberaubende Aussicht auf den Kreis schroffer Berge, der Petra umschließt. Wir waren an der nördlichen Seite eines etwas tiefer gelegenen rechteckigen Hofes herausgekommen. An seinen Seiten hatte man drei Bänke aus dem Fels geschlagen, vermutlich für Zuschauer gedacht, wie die drei Liegesofas eines Trikliniums. Vor uns erhob sich eine Art Tisch mit Opfergaben, die wir taktvoll übersahen. Zur Rechten führten drei Stufen zum Hauptaltar hinauf. Dort verkörperte eine hohe Säule aus schwarzem Stein die Gottheit. Dahinter lag ein zweiter, größerer, runder Altar wie ein aus dem Stein gehauenes Bassin, der durch eine Rinne mit einem rechteckigen Wasserbecken verbunden war.
Meine Phantasie lief inzwischen auf Hochtouren. Ich hoffte, gegen ehrfurchtgebietende Orte und finstere Religionen gefeit zu sein, aber ich war in Britannien, Gallien und Germanien gewesen und wußte mehr als mir lieb war über unerfreuliche heidnische Rituale. Ich griff nach Helenas Hand, als der Wind uns durchrüttelte. Sie trat furchtlos hinaus auf den abgesenkten Hof und genoß die grandiose Aussicht, als ständen wir am Geländer eines für Sommertouristen hergerichteten Aussichtspunktes über der Bucht von Surrentum.
Genau dorthin wünschte ich mich. Dieser Ort jagte mir Schauer über den Rücken. Er erweckte kein Gefühl der Ehrfurcht. Ich hasse solche alten Opferstätten, an denen seit langem Geschöpfe zum grimmigen Ergötzen monolithischer Götter hingeschlachtet werden. Ich verabscheue sie vor allem dann, wenn die örtlichen Bewohner andeuten (wie es die Nabatäer mit großem Vergnügen taten), daß es sich bei den geopferten Geschöpfen auch um Menschen gehandelt haben könnte. Selbst zu diesem Zeitpunkt war ich bereits äußerst wachsam, als ständen uns Schwierigkeiten bevor.
Am Dushara-Schrein gab es tatsächlich Schwierigkeiten, obwohl sie uns nicht direkt betrafen. Wir hatten immer noch Zeit, ihnen aus dem Weg zu gehen – allerdings nicht mehr lange.
»Tja, das war’s, mein Herz. Laß uns zurückgehen.« Aber Helena hatte etwas Neues entdeckt. Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und zog mich hinter sich her. Am südlichen Ende des Zeremonienbereiches befand sich ein weiteres rechteckiges Wasserbecken. Dieses fing offenbar das vom Gipfel herunterlaufende Wasser auf und lieferte Frischwasser für die Opferungsriten. Im
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