Letzter Akt in Palmyra
das Landesinnere führende Route nach Bostra, dann weiter nach Damaskus oder Palmyra. Viele reisten durch Judäa an die Küste, um in der geschäftigen Hafenstadt Gaza große Schiffsladungen für die immer hungrigen Märkte Roms zusammenzustellen. Bei den Dutzenden von Kaufleuten, die mit riesigen, langsam vorankommenden Kamel- oder Ochsenkarawanen nach Gaza zogen, fiel es mir als ehemaligem Kundschafter der Armee nicht schwer, ihren Weg zurückzuverfolgen. Kein Handelszentrum kann geheim bleiben, und seine Bewacher können keine Fremden davon abhalten, die Stadt zu betreten. Petra war im Grunde ein für alle zugänglicher Ort.
Schon vor unserer Ankunft dort prägte ich mir viele Dinge ein, die ich Vespasian berichten wollte. Die felsige Umgebung war eindrucksvoll, aber es gab auch viel Grün. Nabatäa besaß reichlich Frischwasserquellen. Berichte über Viehzucht und Ackerbau erwiesen sich als zutreffend. Es mangelte an Pferden, dafür gab es überall Kamele und Ochsen. Entlang der Bergtäler wurde eifrig Bergbau betrieben, und wir entdeckten bald, daß die Einheimischen feinste Keramik in großen Mengen herstellten, alle mit Blumen- und anderen Mustern reich verziert. Kurz, selbst ohne die Einnahmen aus den Zöllen gab es hier genug, um das wohlwollende Interesse Roms zu wecken.
»Na ja«, entfuhr es Helena. »Ich schätze, du kannst deinem Herren berichten, daß das reiche Königreich Nabatäa mit Sicherheit einer Annexion durch das Imperium würdig ist.« Sie verglich mich mit einem habgierigen, Provinzen einheimsenden Patrioten, was für eine Beleidigung!
»Mach mich nicht an, Prinzessin …«
»Wir haben ihnen ja so viel zu bieten!« stichelte sie; unter der politischen Ironie galt ihr Spott mir.
Ob die reichen Nabatäer die Dinge ebenso sehen würden wie Rom, war allerdings eine ganz andere Sache. Helena wußte das. Das Land hatte seine Unabhängigkeit seit Jahrzehnten erfolgreich verteidigt und sah seine Aufgabe darin, die Karawanenwege durch die Wüste sicher zu machen und Händlern aller Art einen Markt zu bieten. Die Nabatäer waren erfahren in Friedensverhandlungen mit Möchtegern-Invasoren, von den Nachfolgern Alexanders bis zu Pompeius und Augustus. Sie besaßen eine freundliche Monarchie. Ihr derzeitiger König Rabel war ein Jüngling, dessen Mutter als seine Regentin fungierte, was offenbar nicht zu Problemen führte. Der Hauptteil der routinemäßigen Regierungsarbeit fiel dem höchsten Minister zu. Diese eher finstere Figur wurde »der Bruder« genannt. Ich hatte eine vage Vorstellung, was das bedeutete. Doch solange die Einwohner Petras offenbar im Überfluß schwelgten, konnten sie wohl jemanden verkraften, der ihnen Furcht und Haß einflößte. Jeder hat gern eine Autoritätsfigur, über die er sich aufregen kann. Man kann nicht für alles dem Wetter die Schuld geben.
Das Wetter war übrigens fabelhaft. Warmes Sonnenlicht wärmte die Felsen und überzog alles mit funkelndem Schleier.
Wir setzten unseren Aufstieg fort.
Als wir zum zweiten Mal anhielten, jetzt weit mehr außer Atem, löste ich die Wasserflasche von meinem Gürtel. Wir saßen Seite an Seite auf einem großen Stein, zu erhitzt zum Streiten.
»Was ist los?« Eine von Helenas Bemerkungen hatte einen Nerv getroffen. »Hast du rausgefunden, daß ich für den Oberspion arbeite?«
»Anacrites!« schnaubte sie verächtlich.
»Na und? Er ist ein Schleimer, aber auch nicht schlimmer als die anderen Kriecher in Rom.«
»Ich dachte, du würdest wenigstens für Vespasian arbeiten. Du hast mich die ganze Zeit in dem Glauben gelassen, daß …«
»Ein Versehen.« Inzwischen war ich selbst davon überzeugt. »Wir sind nur zufällig nie auf das Thema gekommen. Außerdem, was macht das schon für einen Unterschied?«
»Ein Anacrites, der auf eigene Faust aktiv wird, ist eine Bedrohung für dich. Ich traue dem Mann nicht.«
»Ich auch nicht; du kannst dich also wieder abregen.« Sie hier raufzuschleppen, war eine gute Idee gewesen; ihr blieb ganz offensichtlich keine Kraft, sich mit mir zu zanken. Ich gab ihr mehr zu trinken und hielt sie auf dem Felsen fest. Der weiche Sandstein war eine einigermaßen erträgliche Rückenstütze, wenn man einen muskulösen Rücken besaß; ich lehnte mich dagegen und brachte Helena dazu, sich an mich zu lehnen. »Genieß die Aussicht und sei wieder nett zu dem Mann, der dich liebt.«
»Ach, der!« spottete sie.
Unser Streit hatte ein Gutes: Als wir gestern unsere vor der Stadt liegende
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