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Letzter Akt in Palmyra

Titel: Letzter Akt in Palmyra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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erklären, warum er überwältigt worden war.
    Seine Kleidung entsprach der Gegend und schützte ihn vor der brennenden Sonne. Die Stoffülle mochte ihn behindert haben, als er seinem Angreifer entkommen wollte. Für mich stand fest, daß er überfallen worden war. Sein Gesicht war aufgeschürft und hatte Schnittwunden, die er vermutlich beim Schieben über den Beckenrand abbekommen hatte. Dann mußte jemand ins Wasser gesprungen sein, aber wohl nicht, um seinen Kopf unter Wasser zu drücken; die Spuren am Hals sahen für mich eher wie Würgemale aus. Helena zeigte mir, daß sich außer dem bei meinem Heraussteigen durchnäßten Boden auf der anderen Seite des Beckens ein ähnlich feuchter Fleck befand, wo der Mörder klatschnaß herausgeklettert sein mußte. Die Sonne hatte seine Spuren schon fast getrocknet, doch Helena sah, daß sie zu der Plattform zurückführten.
    Wir ließen die Leiche liegen und gingen am Altar vorbei. Von Sonne und Wind bereits ausgelöscht, verlor sich die Spur. Nördlich davon stießen wir auf den Schrein eines Mondgottes mit zwei von Halbmonden gekrönten Säulen neben einer Nische; dahinter führte eine breite Treppe nach unten. Aber jetzt hörten wir Stimmen näherkommen – eine große Menschenmenge, die leise ein religiöses Lied sang. Das war offensichtlich ein vielbegangener Prozessionsweg zur Opferstätte. Ich bezweifelte, daß der Mörder dort hinuntergerannt war, denn das hätte die sich jetzt über die Stufen hinaufwindende Prozession mit Sicherheit aufgeschreckt.
    Wir drehten uns um und kletterten dieselben Stufen hinunter, die wir beim Aufstieg genommen hatten. Wir rannten bis zum Priesterhaus oder Wachposten. Natürlich hätten wir klopfen und um Hilfe bitten können. Warum den einfachen Weg nehmen? Immer noch abgeneigt, jemandem mit einem scharfen Instrument zu begegnen, der mich als leichte Beute für den Altar empfinden könnte, redete ich mir ein, daß der Mörder genauso unerkannt vorbeigeschlichen war.
    Jetzt bemerkte ich einen zweiten Pfad. Den mußte er genommen haben; während wir herumschmusten, war er nämlich nicht an uns vorbeigekommen. Schließlich kannte Helena als Senatorentochter den Begriff der Sittlichkeit. Wir waren beide wachsam geblieben wegen möglicher Voyeure.
    Ich weiß ja nie, wann ich meine Pfoten von einer Sache lassen sollte. »Geh du ins Tal«, befahl ich Helena. »Warte entweder am Theater oder in unserem Quartier auf mich. Geh denselben Weg zurück, den wir raufgekommen sind.«
    Sie protestierte nicht. Der Anblick des Toten bedrückte sie wohl. Wie auch immer, ihre Haltung ähnelte meiner. In Rom hätte ich das gleiche getan; ein durchreisender Floh auf dem Hintern der Zivilisation zu sein, änderte nichts daran. Jemand hatte diesen Mann gerade umgebracht, und ich würde ihn verfolgen. Helena wußte, daß mir keine andere Wahl blieb. Sie wäre mit mir gekommen, wenn sie genau so schnell hätte laufen können.
    Ich berührte sie sanft an der Wange und spürte ihre Finger über mein Handgelenk streicheln. Dann rannte ich ohne weiter nachzudenken den Pfad hinunter.

VIII
    Dieser Pfad war weniger steil als der andere. Er schien in die Stadt unter uns zu führen. Plötzliche unangenehme Kurven zwangen mich, auf den Weg zu achten, statt auf die erstaunliche Aussicht, die mich zum Zittern gebracht hätten, wenn ich die Zeit gehabt hätte, sie zu betrachten.
    Ich gab mir Mühe, möglichst leise vorwärts zu kommen. Obwohl der fliehende Mann wahrscheinlich nicht wußte, daß ich ihm auf den Fersen war, bleiben Mörder selten stehen, um die Aussicht zu genießen.
    Ich kam durch eine weitere, von Wasserläufen ausgewaschene Schlucht, ähnlich der, die Helena und mich zum Gipfel gebracht hatte. Treppen, Inschriften in der Felswand, scharfe Kurven und kurze Stücke schmaler Korridore führten mich abwärts bis zu einem in Stein gehauenen Löwen. Fünf Schritte lang und recht verwittert, diente er als Wasserspeier; ein Kanal leitete das Wasser durch ein Rohr und ließ es aus seinem Maul sprudeln. Jetzt war ich sicher, daß der Mörder diesen Weg genommen hatte: Die Sandsteinbrüstung unter dem Löwenkopf war feucht, als hätte ein Mann mit nassen Kleidern hier gesessen und getrunken. Hastig spritzte ich mir Wasser ins Gesicht, dankte dem Löwen für seine Information und rannte weiter.
    Das Wasser, das durch das Löwenmaul geflossen war, rann jetzt durch eine hüfthoch in den Fels gehauene Rinne weiter bergab und leistete mir Gesellschaft. Ich stolperte

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