Letzter Akt in Palmyra
Gegensatz zum Rest des Opferplatzes war diese Zisterne belegt.
Der Mann im Wasser hätte ein Bad im Sonnenlicht nehmen können. Aber sobald ich ihn erblickte, war mir klar, daß er weder zum Spaß noch zur körperlichen Ertüchtigung dort schwamm.
VII
Hätte ich meine Sinne beisammen gehabt, dann hätte ich mir eingeredet, daß er trotz allem nur ein friedliches Bad nahm. Wir hätten uns, ohne allzu genau hinzusehen, abwenden und mit raschen Schritten den Berg hinunter zu unserem Quartier laufen können. Das hätten wir auch tun sollen; ich hätte uns da raushalten müssen.
Er war schon fast untergegangen. Sein Kopf lag unter Wasser. Nur irgendwas Sperriges, das sich in seinen Kleidern verfangen hatte, ließ ihn noch treiben.
Wir rannten beide auf ihn zu. »Unglaublich!« staunte Helena bitter. »Nur zwei Tage hier, und schon mußt du über sowas stolpern.«
Ich hatte das aus dem Fels gehauene Wasserbecken vor ihr erreicht und kletterte über den Rand, wobei ich lieber nicht daran dachte, daß ich nicht schwimmen konnte. Das Wasser reichte mir bis über die Taille. Die Kälte ließ mich nach Luft schnappen. Es war eine große Zisterne, an die vier Fuß tief – ausreichend, um darin zu ertrinken.
Die durch mein Eintauchen ausgelösten Wellen brachten die Leiche in Bewegung und ließen sie versinken. Ich grabschte nach der Kleidung, die den Toten oben gehalten hatte. Wenn wir nur etwas später gekommen wären, hätten wir den ganzen Ärger vermeiden können. Er hätte außer Sichtweite am Boden gelegen, wie Ertrunkene das so tun – vorausgesetzt, daß Ertrinken die tatsächliche Todesursache war.
Langsam zog ich meine Last an den Rand. Dabei kam ein aufgeblähter Ziegenlederschlauch unter seinem verhedderten Mantel hervor. Helena beugte sich hinunter und griff nach seinen Füßen, dann half sie mir, ihn halb aus dem Wasser zu ziehen. Sie hatte die guten Manieren einer Senatorentochter, aber keine Skrupel, in einer Notsituation mit anzupacken.
Ich kletterte wieder heraus, und wir beendeten das Unternehmen. Er war schwer, aber gemeinsam gelang es uns, ihn aus der Zisterne zu hieven und auf den Bauch zu legen. Ohne weitere Förmlichkeiten drehte ich seinen Kopf zur Seite und drückte immer wieder mit meinem ganzen Gewicht auf seine Rippen, um ihn wiederzubeleben. Beim ersten Drücken fiel mir auf, daß Luft statt Wasser herauskam. Und er hatte auch keinen Schaum vor dem Mund, wie ich es bei anderen Ertrunkenen gesehen hatte. Von denen gibt’s reichlich im Tiber.
Helena wartete, zunächst über mich gebeugt, die Kleider durch den Wind an ihren Körper gedrückt, während sie nachdenklich das Hochplateau in Augenschein nahm. Dann ging sie zur anderen Seite der Zisterne und betrachtete den Boden.
Während ich an ihm arbeitete, dachte ich über die Sache nach. Helena und ich waren sehr langsam aufgestiegen, und unsere Erholungspause hatte auch ihre Zeit gebraucht. Hätten wir das nicht gemacht, wären wir im entscheidenden Moment angekommen und hätten die berühmte, windumtoste Aussicht mit zwei Männern geteilt, beide lebendig und putzmunter.
Für diesen hier waren wir zu spät. Von Anfang an hatte ich gewußt, daß meine Anstrengungen nutzlos waren, aber ich ließ sie ihm trotzdem angedeihen. Vielleicht mußte ich ja selbst eines Tages von einem Fremden wiederbelebt werden.
Schließlich drehte ich ihn auf den Rücken und stand auf.
Er war etwa vierzig. Sehr fett und schwabbelig. Ein breites, gebräuntes Gesicht mit ausgeprägtem Kinn und brutalem Hals. Das Gesicht wirkte fleckig unter der Bräune. Kurze Arme, breite Hände. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich heute zu rasieren. Strähniges, ziemlich langes Haar hing ihm über die buschigen schwarzen Brauen und tropfte träge auf den Steinboden unter ihm. Der Mann trug eine locker gewebte braune Tunika, über der sich ein von der Sonne verblichener Mantel verheddert hatte. Die Schuhe waren über dem Spann geschnürt und hatten Zehenriemen. Keine Waffe. In Hüfthöhe befand sich etwas Sperriges unter seiner Kleidung – eine Schreibtafel, allerdings unbeschrieben.
Helena hielt etwas hoch, das sie neben der Zisterne gefunden hatte – eine bauchige Flasche an einem geflochtenen Ledergurt. Die braunen Flecken auf der Korbhülle machten neugierig und ich zog den Korken heraus: Die Flasche hatte noch kürzlich Wein enthalten, obwohl nur ein paar Tropfen herauskamen. Vielleicht hatte auch der Ziegenschlauch Wein enthalten. Angetrunkenheit würde
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