Letzter Akt in Palmyra
der langsamen, aufreizenden Art der Wüste: »Ich war im Tempel. Ich hörte Schritte, eilige Schritte. Ich ging hinaus und sah einen Mann, weit weg, kurz bevor er außer Sichtweite kam.«
»Ist Ihnen irgendwas an ihm aufgefallen? War er klein oder groß? Dünn oder dick?«
Der junge Priester dachte nach. »Ich weiß nicht.«
»Der Kerl wird leicht zu finden sein!«
Einen Augenblick später lächelte der Priester, begriff unerwarteterweise die Ironie. Er wurde zwar nicht unbedingt redselig, aber das Spiel schien ihm Spaß zu machen. Strahlend rückte er raus: »Sein Haar konnte ich nicht sehen – er trug einen Hut.«
Ein Hut war etwas Ungewöhnliches. In dieser Gegend legten die meisten Leute einen Teil ihres Gewandes über den Kopf. »Was für ein Hut?« Mit den Händen beschrieb er eine breite Krempe und schaute dabei etwas mißbilligend. Das war nun wirklich eine Rarität. Seit Helena und ich in Gaza gelandet waren, hatten wir herabbaumelnde phrygische Kappen gesehen, knappe kleine Scheitelkäppchen und flache runde Filzkappen, aber ein Hut mit Krempe war eine westliche Extravaganz.
Meine Gedanken bestätigend, fügte er hinzu: »Ein Fremder, allein und in großer Eile nahe des Hohen Opferplatzes ist ungewöhnlich.«
»Sie konnten erkennen, daß es ein Fremder war? Woran?« Der Priester zuckte die Schultern.
Einen Grund kannte ich bereits: der Hut. Aber die Leute haben meist einen guten Blick für sowas. Figur, Hautfarbe, die Art des Ganges, Barttracht oder Haarschnitt können Hinweise geben. Oft reicht schon ein kurzer Blick. Oder auch kein Blick, sondern ein Geräusch. »Er kam pfeifend den Berg runter«, sagte der Priester plötzlich.
»Wirklich? Kannten Sie die Melodie?«
»Nein.«
»Sonst noch irgendwelche erleuchtende Details?« Er schüttelte den Kopf und verlor das Interesse.
Mehr konnte ich ihm nicht entlocken. Ich hatte ein paar quälende Eindrücke gewonnen, nach denen niemand den Flüchtigen würde identifizieren können.
Wir nahmen die langweilige Warterei wieder auf. Ich versank erneut in trübe Gedanken. Das heiße, goldene Licht, das vom Mauerwerk reflektiert wurde, bereitete mir Kopfschmerzen.
Menschen kamen und gingen; manche setzten sich kauend oder vor sich hinsummend auf die Bänke. Viele ignorierten die Sitze und hockten sich in den Schatten; ich fühlte mich wie unter Nomaden, die Möbel verabscheuten. Kein Grund zur Selbstgefälligkeit, mahnte ich mich. Diese ledrigen Männer in staubigen Mänteln sahen aus wie Bettler, die bereits mit einem Fuß im Grab standen; und doch gehörten sie zur reichsten Nation der Welt. Sie gingen so selbstverständlich mit Weihrauch und Myrrhe um, wie meine Verwandten drei Radieschen und einen Kohlkopf inspizierten. Jeder dieser vertrockneten alten Schrumpelköpfe hatte vermutlich mehr Gold in den Satteltaschen seiner Kamelkarawane, als Rom in der Schatzkammer des Saturntempels.
Vorausschauend versuchte ich, einen Fluchtplan auszuarbeiten. Mir war klar, daß ich mich mit traditioneller Diplomatie nicht aus der Schlinge winden konnte; meine mageren Geldmittel reichten nur für einen beleidigenden Bestechungsversuch.
Wir standen offensichtlich unter Beobachtung, obwohl die äußerst höflich gehandhabt wurde. Hätte man derart lange auf den Stufen des Forum Basilica gesessen, wäre man längst Opfer rüder Kommentare geworden und von Taschendieben, Poeten, Prostituierten, Verkäufern lauwarmer Risole und vierzig Langweilern angequatscht worden, die ihre Lebensgeschichte erzählen wollten. Hier warteten sie einfach ab, was ich tun würde; sie standen auf fade Langeweile.
Das erste Anzeichen von Aktivität: Ein kleines Kamel wurde durch das große Tor geführt, auf seinem Rücken der Mann, den ich ertrunken vorgefunden hatte. Eine schweigende, aber neugierige Menge folgte.
Gleichzeitig kam jemand durch die breite, in die Umfassungsmauer gehauene Tür. Ich fand nie heraus, was dahinter war, ob hinter dem beeindruckenden Portal das Priesterseminar lag oder die prächtige Residenz des Repräsentanten von Petra. Irgendwie ahnte ich seine Wichtigkeit, noch bevor ich ihn genauer ansah. Er strahlte Macht aus.
Der Mann kam direkt auf uns zu. Er war allein, aber jedermann auf dem Platz war sich seiner Anwesenheit bewußt. Außer einem juwelenbesetzten Gürtel und einem hübschen Kopfschmuck, der an die Parther erinnerte, unterschied ihn wenig von den anderen. Mein kleiner Priester bewegte sich kaum und auch sein Gesicht blieb nahezu unbewegt, aber
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