Letzter Akt in Palmyra
über der Leiche gekauert hatte, richtete sich auf. »Und wie heißen Sie?« fragte er und fixierte mich mit seinen ausdruckslosen dunklen Augen. Unter den faltigen, dicken Lidern heraus hatte er längst den Schnitt meiner Tunika und den Stil meiner Sandalen erkannt. Ich wußte, daß er wußte, daß ich Römer war.
»Didius Falco«, erwiderte ich mit mehr oder weniger reinem Gewissen. »Ein Reisender aus Italien …«
»Ah, ja!« sagte er.
Mir sank das Herz. Mein Name war hier bereits bekannt. Jemand hatte den obersten Minister des nabatäischen Königs von meiner Ankunft informiert. Ich konnte mir denken, wer das war. Vor meiner Abreise hatte ich überall erzählt, daß ich die Dekapolis besuchen wollte, um nach Thalias verschwundener Wasserorgelspielerin zu suchen. Außer Helena Justina wußte nur ein einziger Mensch von meiner wahren Mission: Anacrites.
Und falls Anacrites mich bei den Nabatäern schriftlich angekündigt hatte, dann war es klar wie dicke Tinte, daß es in dem Brief nicht darum ging, meine diplomatischen Befugnisse zu erweitern.
X
Ich hätte den Bruder zu gern in den Magen geboxt und dann meine Beine in die Hand genommen. Wenn er, wie ich vermutete, in Petra verhaßt und gefürchtet war, würde die Menge mich vielleicht durchlassen. Wenn er aber noch mehr gehaßt und gefürchtet wurde, als ich annahm, würden sie womöglich seinem Zorn dadurch zu entgehen versuchen, daß sie mich festhielten.
Wir Römer sind ein zivilisiertes Volk. Ich behielt die Fäuste unten und wich seinem Blick nicht aus. »Mein Herr, ich bin ein Mann von einfacher Herkunft. Es erstaunt mich, daß Sie meinen Namen kennen.« Er machte keine Anstalten, es mir zu erklären. Für mich war es lebenswichtig, seine Informationsquelle herauszufinden, und zwar schnell. Bluffen hatte keinen Zweck. »Kann es sein, daß Sie durch einen Beamten namens Anacrites von mir gehört haben? Und hat er Sie gebeten, mich ganz oben auf die Liste der Opfer für Dushara zu setzen?«
»Dushara verlangt Opfer, die reinen Herzens sind!« entgegnete der Bruder. Er verfügte über einen sanften Sarkasmus – das ist der allergefährlichste. Ich war in einer kitzligen Lage, und daß ich mir dessen bewußt war, gefiel ihm.
Ich sah ihn eine verstohlene Geste machen, mit der er der umstehenden Menge befahl, zurückzutreten. Prompt wurde Platz gemacht. Mein Verhör sollte mit einem Mindestmaß an Diskretion stattfinden.
Ohne das zu kommentieren, antwortete ich ganz locker: »Petra hat doch gewiß noch andere Möglichkeiten der schnellen und leichten Beseitigung?«
»Aber ja. Man kann Sie auf einen Opferblock legen und den Vögeln und der Sonne überlassen.« Er klang, als würde er nur gar zu gern den Befehl dazu erteilen. Genau das, was ich mir immer gewünscht hatte: Tod durch Verbrutzeln in der Sonne und dann von einer Horde Geier sauber abgepickt werden.
»Ich fühle mich geehrt! Und was hat man Ihnen über mich berichtet?«
»Daß Sie ein Spion sind, selbstverständlich.« Er schien einen höflichen Witz daraus machen zu wollen. Irgendwie gelang es mir nicht, das mit einem Lächeln zu quittieren. Diese Information würde ihn zum Handeln zwingen.
»Ah ja, die übliche diplomatische Nettigkeit! Glauben Sie das denn?«
»Sollte ich?« fragte er und ließ mir damit weiterhin die zweifelhafte Höflichkeit angedeihen, offen und ehrlich zu wirken. Ein cleverer Mann. Weder eitel noch korrupt; nichts, wo man ihn packen konnte.
»Ach, ich denke schon.« Jetzt benutzte ich die gleiche Taktik. »Rom hat einen neuen Kaiser, und diesmal sogar einen tüchtigen. Vespasian macht Bestandsaufnahme; dazu gehört auch der Überblick über alle an sein Reich grenzenden Gebiete. Sie haben bestimmt mit Besuchern gerechnet.«
Wir schauten beide auf die Leiche herab. Der Tote hätte eine persönlichere Behandlung verdient. Statt dessen war er durch irgendein abgeschmacktes, häusliches Drama zum Anlaß dieser unerwartet hochtrabenden Diskussion der Weltereignisse geworden. Wer er auch war, er hatte sich in meine Mission hineingeschmuggelt. Sein Schicksal war mit dem meinen verknüpft.
»Welches Interesse hat Vespasian an Petra?« fragte der Bruder. Seine Augen waren verschlagene, hinterlistige Schlitze in einem leidenschaftslosen Gesicht. Ein so kluger Mann wie er wußte mit Sicherheit, welche Interessen Rom an einer reichen Nation hatte, die wichtige Handelswege direkt vor unseren Grenzen kontrollierte.
Ich kann ebenso gut politisieren wie jeder andere
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