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Letzter Akt in Palmyra

Titel: Letzter Akt in Palmyra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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die Geschichte zu entlocken. Diskret wandte sie sich ab und fachte das Feuer an, während Davos und ich den Priester aus seinen nassen Kleidern schälten und in eine Decke wickelten. Er war nicht so stämmig gebaut wie wir, doch von kräftiger Statur; das jahrelange Klettern auf die hohen Berge seiner Heimatstadt war ihm gut bekommen. Er hielt die Augen zu Boden gerichtet.
    »Sehr redselig ist er ja nicht gerade«, murmelte Davos. Was bei Musa nicht ungewöhnlich war.
    »Was ist passiert?« wollte ich wissen. »Draußen schifft es zwar aus allen Rohren, aber so naß kann er davon nicht sein.«
    »Er ist in ein Reservoir gefallen.«
    »Ach, kommen Sie, Davos!«
    »Nein, im Ernst!« widersprach er mit rührender Einfalt. »Nach der Vorstellung zogen ein paar von uns los, zu einer Weinschenke, die die Clowns angeblich aufgetan hatten …«
    »Das glaube ich einfach nicht! Bei diesem Wetter?«
    »Schauspieler müssen sich abreagieren. Sie überredeten Ihren Mann, mitzukommen.«
    »Das glaube ich ebenfalls nicht. Ich habe ihn noch nie trinken sehen.«
    »Er schien durchaus interessiert«, beharrte Davos. Musa selbst gab keinen Piep von sich, zitterte in seiner Decke und wirkte noch angespannter als sonst. Ich wußte, daß ich Musa nicht trauen konnte. Schließlich vertrat er den Bruder. Prüfend musterte ich den Schauspieler. Ob ich ihm trauen konnte?
    Davos hatte ein kantiges Gesicht mit ruhigen, resignierten Augen. Auf dem Kopf kurzes dunkles, kunstlos frisiertes Haar. Er war gebaut wie ein Cairn, eine dieser keltischen Steinpyramiden: solide, ausdauernd, verläßlich, breit; kaum etwas würde ihn umwerfen. Seine Lebensanschauung war nüchtern. Er wirkte, als hätte er das ganze Spektakel bereits gesehen – und würde kein Geld für eine zweite Eintrittskarte verschwenden. Für mein Gefühl war er zu bitter, um sich mit Verstellung abzugeben. Doch wenn er mich täuschen wollte, war er als guter Schauspieler dazu durchaus in der Lage.
    Als Mörder konnte ich mir Davos nicht vorstellen.
    »Was ist denn nun eigentlich passiert?« fragte ich.
    Davos erzählte weiter. In seiner prächtigen Baritonstimme vorgetragen, war seine Geschichte wie ein öffentlicher Auftritt. Das ist das Problem mit Schauspielern: Alles, was sie sagen, klingt absolut glaubhaft. »Das von den Zwillingen ausgeguckte Etablissement lag angeblich außerhalb des Schutzwalles, östlich der Stadt …«
    »Ersparen Sie mir die Touristeninformationen.« Ich hätte mich treten können, weil ich nicht dageblieben war. Wenn ich auf diesen verrückten Ausflug mitgegangen wäre, hätte ich zumindest gesehen, was passiert war – und es vielleicht verhindern können. Und hätte womöglich noch einen Becher Wein oder zwei erwischt. »Wie kommt dabei ein Reservoir ins Spiel?«
    »Es gibt hier einige große Zisternen, die das Regenwasser sammeln.« Die dürften heute abend bis zum Rand voll sein. Fortuna schüttete gerade das ganze Jahreskontingent an Regen über Bostra aus. »Wir mußten um eine herumgehen. Sie ist von einem hohen Damm umgeben. Obendrauf war ein schmaler Pfad, ein paar alberten herum, und irgendwie ist Musa ins Wasser gerutscht.«
    Einfach zu verstummen, wäre unter seiner Würde gewesen; Davos’ Innehalten war unheilschwanger. Ich starrte ihn durchdringend an. Die Bedeutung wäre nicht nur auf der Bühne offensichtlich gewesen. »Wer genau alberte da herum? Und wieso konnte Musa ›abrutschen‹?«
    Der Priester hob zum ersten Mal den Kopf. Er sagte immer noch nichts, beobachtete aber Davos, als der antwortete. »Was meinen Sie wohl? Die Zwillinge natürlich, und ein paar von den Bühnenarbeitern. Sie taten so, als würden sie sich gegenseitig vom Weg schubsen. Aber wie er ausgerutscht ist, weiß ich nicht.« Musa machte keine Anstalten, es uns zu erläutern. Ich ließ ihn zunächst auch in Ruhe.
    Helena brachte ein warmes Getränk für Musa. Sie gluckte schützend über ihm; so konnte ich den Schauspieler beiseite ziehen. »Sind Sie sicher, daß Sie nicht gesehen haben, wer unseren Freund geschubst hat?«
    Wie ich, senkte Davos die Stimme. »Mir war nicht bewußt, daß ich hätte aufpassen sollen. Ich achtete nur darauf, wo ich hintrat. Es war stockdunkel und auch ohne dieses alberne Theater schon rutschig genug.«
    »Passierte der Unfall auf dem Weg zur Weinschenke oder erst auf dem Rückweg?«
    »Auf dem Hinweg.« Also war keiner betrunken gewesen. Davos durchschaute meine Gedanken. Wenn jemand den Nabatäer zum Stolpern gebracht hatte, dann in

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