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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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aus bundesdeutschen Verlagen und die Pfaffen der Republik aus den Klingelbeuteln westelbischer Brudergemeinden versorgt. Hingegen Otto Normalverbraucher als Angehöriger des dritten Standes sich begnügen musste mit wenigen Hundertern reinem Ostgeld, das sie abschätzig „Alu-Chips“ und „Monopoly-Spielgeld“ hießen.
    Als besondere Attraktion war für den heutigen Nachmittag eine kleine Maskerade vorgesehen; in einem Nebenraum lagen für alle Teilnehmerinnen des Zirkels historische Gewänder zur Auswahl bereit, die von der Genossin aus der Deutschen Staatsoper entliehen waren. Auf diese Weise sollte das Fluidum vorrevolutionärer Geschichte ihrem Fest einen Hauch von anrüchigem Tabu verleihen und gleichzeitig den kultiviert-stilvollen Charakter ihrer zentrovertierten Geselligkeit betonen. Außerdem bot der exklusive Gout vergangener Jahrhunderte einen sehr viel repräsentativeren und erotisch reizvolleren Rahmen als die etwas arg hausbacken-bieder geratene und immer mehr auf den bourgeoisen Massengeschmack abgestimmte Mode der schnelllebigen Jetztzeit – von den misswirtschaftlich bedingten Mangelerscheinungen der nationalen Haute Couture der Baumwoll-Klasse einmal ganz abgesehen.
Die Genossin hatte sich vorbehalten, als deutsche Kaiserin Maria Theresia aus dem Cagliostro in Wien in Reifrock mit Schleppe zu erscheinen, was ihr gewisslich mit großer Gravität gelingen würde; die schon im Haus weilende Freya auf der Heide sollte – nicht ohne pikante Anspielung – deren Tochter Marie-Antoinette verkörpern, die sich als Königin von Frankreich eines einschlägigen moralischen Rufes erfreut hatte und folgerichtig guillotiniert worden war; Carmen Denikin, von Jugend auf eine schwärmerische Verehrerin des letzten Zarenhauses, hatte sich nach musealen Modekupfern aus schwerem, schwarzen Brokat eine goldbestickte Robe anfertigen lassen, wie sie die von den Bolschewisten ermordete Zarengattin Alexandra Feodorowna auf der Weihnachtsfeier Rasputins am 25. Dezember des Vorrevolutionsjahres 1916 getragen hatte und die die Figur der Genossin besonders vorteilhaft zur Geltung zu bringen versprach; die Leiterin des Delikat-Ladens und Bankiersgattin schließlich wollten sie in das Biedermeiergewand einer bürgerlichen Mätresse der Restaurationszeit Metternichs oder aber einen Gouvernantenrock aus der Fuggerzeit stecken – mehr konnte sie als Neuling füglich nicht erwarten. Allein Geneviève sah in ihrem funkelnagelneuen Kleid so bezaubernd aus, dass die Genossin ihr persistent und keinen Widerspruch duldend zuredete, es anzubehalten. Auf jeden Fall stand den Gästen ein liebreizender Abend ins Haus, dem eine gewiss noch entzückendere Nacht voller Überraschungen folgen sollte.  
    Dann eröffnete die schöne Carmen Denikin, die als Hausherrin bereits ihr Galakleid mit großem Dekolleté, eng geschnürter Taille und weit schwingendem Rock angelegt hatte und darin wahrhaft feudal wirkte, den offiziellen Teil der Fete mit einer ebenso erbaulichen wie salbungsvollen Ansprache.
„Liebste Genossinnen!“ begann sie. „Ich begrüße euch als Freunde des Hauses, aber vor allem als neue Mitschwestern in der Runde unseres intimen Zirkels. Die Motive, die zur Erneuerung unserer Gemeinschaft führten, sind in der außergewöhnlichen Situation zu suchen, die die unselige Weltmarktlage sowie die Machenschaften des antagonistischen Internationalismus hervorgerufen haben und deren Ende vorläufig noch nicht abzusehen ist. Jede von euch leidet darunter, dass die Ehemänner sich – einige schon seit einem halben oder ganzen Jahr, manche noch länger – an dem Ehrenplatz befinden, den ihnen die sozialistische Gesellschaftsordnung zugewiesen hat in der weltgeschichtlichen Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus, an der nationalen Front nämlich, die heute meist fernab vom häuslichen Herd verläuft und in unserem Falle bedeutet: quälende Einsamkeit und tödliche Langeweile für uns zurückgebliebene Gattinnen.“ Sie räusperte sich dezent, bevor sie weitersprach und warf einen kurzen forschenden Blick auf Geneviève und von dieser auf die Genossin, die ihr aufmunternd zunickte. „Die Folge dieser für uns Frauen so überaus schwierigen Lage ist eine Verfassung tiefgreifenden Unbefriedigtseins in jeglicher, aber vor allen Dingen in einer Hinsicht... Ich glaube, mich sinnfällig ausgedrückt zu haben...“ Sie schaute sich fragend in der Runde um.
    Beifälliges Gemurmel ermunterte sie fortzufahren. Nur Geneviève

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