Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
Vom Netzwerk:
und nachträglich zum Ableben des Herrn Vaters: „Es tut mir noch immer aufrichtig leid, mein lieber Täve, aber es war mir beim besten Willen nicht möglich, mit zum Dorotheenfriedhof zu kommen. Der Grund war...“, er räusperte sich verlegen und rückte an seiner Brille, „...jetzt kann ich´s ja frei heraus gestehen – eine kleine Privatfeier. Mein Fünfundsechzigster, wenn du...‚ wenn Sie verstehen, was ich meine. Meine Gerda erwartete mich daheim.“ Er atmete erleichtert auf, als hätte er weiß Gott was für eine drückende Beichte abgelegt, richtete sich unter verständnisheischendem Grienen auf, wobei er immer noch einen ganzen Kopf kürzer blieb als Gustav, ganz zu schweigen von dem langen Willi, der aus der Vogelperspektive auf den Maestro herunterblickte.
    „Na, dann darf man ja nachträglich gratulieren“, sagte Johannes, was seine beiden Freunde veranlasste, sich seinen Glückwünschen anzuschließen.
    „Oh, danke, vielen Dank! Ehem, ...da fällt mir ein, was ich Sie schon lange einmal fragen wollte, mein lieber La Bruyère: Wie geht es eigentlich Ihrer lieben Schwester? Ist sie noch immer unten in Odessa?“
    „Danke der Nachfrage“, erwiderte Johannes, aus Freude darüber errötend, dass Herr Heinze sich nach Patricia erkundigte.
    „Ich nehme doch an, dass es ihr gut geht; die Briefe benötigen ja manchmal Wochen über die Grenzen und durch die Postschranken...“
    „Macht sie gute Fortschritte bei diesem berühmten Towaritsch...‚ ehem..., der Name liegt mir auf der Zunge...“
    „Towa... Herr Simonov“, half Johannes bereitwillig, „doch, doch, mit der letzten Post berichtete sie, schon mit der Einstudierung des Kammerkonzertes Préludes, Opus drei, Nummer zwei von Rachmaninow begonnen zu haben.“
    „Respekt, Respekt!“ rief der Alte. „Ein harter Bissen, wenn ich so sagen darf, ...das Préludes-Konzert ... hm, ja, ehem.“ Und er setzte hinzu, sich seine Schuhspitzen betrachtend: „Sie war ja schon immer eine Art Wunderkind, weiß ich doch heute so gut wie damals, als ich anfing, sie zu unterrichten, wie erstaunlich musikalisch das Kind war, ...tja, fünf Jahre alt war sie oder sechs.“ Damit hob er den Kopf und blickte Johannes in die Augen. „Es tut mir noch heute in der Seele weh, wenn ich daran denke, wie damals Ihr gestrenger Herr Vater so mir nichts, dir nichts das Mädchen mit dem Genossen Reichmann auf die Reise nach Odessa delegierte...“ Er schaute wieder auf den Boden und schüttelte bedauernd seine fahle Mähne. „Schrecklich, aber gegen den Beschluss des Herrn Vorsitzenden La Bruyère war man ja wohl machtlos, nicht wahr?“
    In die Miene von Johannes, der dem Blick des Alten auswich, trat ein Ausdruck tiefster Bitterkeit; er schwieg mit zusammengepressten Lippen.
    Da bereute Otto Heinze seinen Vorstoß; offensichtlich hatte er eine offene Wunde angerührt. „Nichts für ungut, mein Lieber“, fügte er daher hinzu. „Seien Sie nicht traurig! Das Schlimmste haben wir gottlob bereits hinter uns, und es kann sich wirklich nur noch um Wochen, wenn nicht Tage handeln, bis die Chose aus ist. Dann kommt die Schwester ja bald wieder heim, und die Zwillinge sind wieder zusammen – für immer. Das Wichtigste bleibt, sie ist gesund und bei den guten Leuten auf der Krim gut aufgehoben. Und überhaupt: am Schwarzen Meer...!“ Seine Züge verklärten sich. „Ewige Sonne am weiten Meer! Mein Gott, was ist sie zu beneiden!“ Er blickte gen Himmel, um Sekunden später unvermittelt aufzuschrecken. „O Jesses, jetzt muss ich in der Tat los zu meiner Klavierschülerin!“ Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse, als er den jungen Männern zunickte. „Grüß Gott, meine Lieben, auf Wiedersehen“, rief er und hastete trippelnden Schritts davon.
    Die Drei machten sich auf den Heimweg.
    „Schlimmer kann es ja auch kaum kommen“, meinte Gustav.
    „Und wenn die Chose aus ist, dann fängt´s von vorne an“, sang Johannes elegisch die brecht´igen Verse, noch ganz unter dem Eindruck des Gesprächs, und wandte sich an Gustav: „Eigentlich habe ich dir gegenüber ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht auf den Dorotheenfriedhof mitgegangen bin. Du weißt, wie ungern ich den Totenpark besuche, aber meine Migräne mal wieder...‚ du verstehst. Und diese verfluchte, ungewöhnliche Hitze um diese...!“
    „Jetzt schlägt´s aber dreizehn, Huschke!“ unterbrach Gustav den Freund. „Ich weiß es ja, und natürlich brauchst du dich nicht zu entschuldigen! Und in der

Weitere Kostenlose Bücher