Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
Kirche warst du ja dabei.“ Sich zugleich an Willi wendend, setzte er hinzu: „Es war wirklich lieb von euch beiden, so viele Ferienstunden sausen zu lassen.“
Unterdessen erreichten sie die hohe Parkhecke des Anwesens von Johannes´ Vater. Sie blieben vor dem schmiedeeisernen Portal stehen, das den Blick auf den im hinteren Teil anderthalbstöckigen Bungalow freigab.
Gustav erzählte noch von dem Warschauer. „Blöder blonder Affe“, schloss er, „dieser verdammte Polacke!“
„Was hast du gegen Warschauer?“ fragte der kleine Willi.
„Na weißt du!“ entrüstete sich Gustav. „Reisen bei uns durch, verhökern ihren Kram auf Märkten in Berlin-West, kaufen da Bananen, Spargel und Zitronat und bei uns dann die HO-Läden leer und verschwinden über die Neiße...“
„An der polnischen Grenze“, begann Johannes zu erzählen, „treffen sich ein DDR-Hund und ein Warschauer-Hund. `Na, was willst du denn hier?´ fragt der DDR-Hund. `Ich will mir endlich mal wieder den Bauch vollschlagen´, antwortet der Warschauer-Hund. `Aber was willst du in Polen?´ Der DDR-Hund darauf: `Ich will endlich mal wieder die Schnauze aufreißen!´“
Die drei Jungen können kaum an sich halten vor Lachen.
„Wann krieg ich übrigens die Scheiben von Manne Krug und der Klaus-Lenz-Bigband wieder, Huschke?“ wollte Gustav wissen, als sie sich gefasst hatten. „Du weißt, wie sehr Vater daran hing und ich jetzt...“
„Geht klar, Täve“, antwortete der Freund. „Sobald ich sie auf Band überspielt habe, Täve.“
„Morgen“, sagte Gustav.
„Übermorgen“, erwiderte Johannes.
„Ich verlass mich drauf“, bestätigte Gustav.
„Denn macht´s mal gut“, verabschiedete sich Johannes.
„Besser´ die Macht“, riefen die beiden Anderen. Sie schüttelten einander die Hände, bevor Gustav und Willi sich zum Gehen wandten und Johannes das Tor aufschob, um gedankenverloren auf das von zwei römischen Säulen flankierte Entrée des Anwesens zuzuschreiten. Johannes schaute sich noch einmal nach dem Freund durch das offenstehende Tor um.
Warum bloß habe ich ihn angelogen? Von Migräne konnte doch gar keine Rede sein. Warum vermochte ich nicht, ihm einfach zu erklären, dass ich keine Friedhöfe betrete? Wie ich auch keine Krankenhäuser aufsuche. Krankheit widert mich an, Kranke sind mir ekelhaft... Und den Tod fürchte ich…
Johannes hatte sich sogleich der Uniform entledigt und lümmelte nun in der Hollywoodschaukel auf der Terrasse hinter dem Haus nahe dem Springbrunnen, so dass jeder Windhauch Wasserwölkchen über seine nackte Haut sprühte. Wohlig schloss er die Augenlider.
Der Gang in die Kirche zum Trauergottesdienst war ihm schon zu viel gewesen. Und hat mir beileibe gereicht, dachte er. Aber da er einem wirklich leid tun konnte, der Täve oder vielmehr sein Alter... Er zog geschlossenen Auges die Brauen hoch. Ich weiß es wirklich nicht recht. Wenn ich jedenfalls daran denke, dass der arme Teufel jahrelang den schwindsüchtigen Vater um sich hatte. Wie er erzählte, war sein Erzeuger zuletzt oft mitten in der Arbeit am Schreibtisch eingeschlafen, aus Schwäche.
Verdammt, dachte er, da kommt die verfluchte Migräne wieder. Wenn man den Teufel an die Wand malt! Er fasste sich mit beiden Händen an den Kopf, um die Schläfen zu massieren.
Hat Täve nicht einmal davon berichtet, dass sein Vater eine Bürgschaft für einen Freund übernommen hatte? Richtig, antwortete er sich und ließ mit einem langen Seufzer Kopf und Hände wieder sinken. Der Schuft war ins westliche Ausland durchgebrannt und hatte Täves Vater sitzen lassen, der für die Schuld hatte einstehen und bezahlen müssen, und das jahrelang, wofür er sich dann auch hat krumm legen dürfen, meist nachts, um das Geld zusammenzubekommen. Und weshalb er sich auch nicht hat schonen können, obwohl es ihm der Arzt dringend ans Herz gelegt.
Er stöhnte und fasste sich erneut an den Kopf. Es ist nicht auszuhalten, sagte er leise. Wo sind nur die verdammten... Ah, hier. Er nahm aus der Brusttasche seines Blauhemds, das er über die Lehne gehängt hatte, eine flache Schachtel, drückte eine Tablette heraus, steckte sie, eine Grimasse ziehend, in den Mund und spülte sie mit einem Schluck Bier hinunter. Tief seufzend ließ er sich zurückfallen, um wieder mit geschlossenen Lidern nur so da zu liegen.
Wie sie die hölzerne Kiste vorbeigetragen hatten, war ihm speiübel geworden bei dem Gedanken, dass da ein Opfer darin lag. Und der Lump weiß bis heute
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