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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Hollywood Karriere zu machen gedenkt. Aber im Ernst: Wer kann schon voraussagen, dass nicht als nächster Kurt selber im schönen Ungarnland urlauben will? Was für den Dünnleder bedeuten würde, dass er seinen Laden zumachen kann, wenn wir keinen Ausweg finden.“
    „Ich frage mich schon lange“, meinte Gustav, „woher ihr das Material für die Dreharbeiten nehmt. Und jetzt wollt ihr auch noch regelmäßig Kabarett machen! Das bedeutet doch einen gewaltigen Aufwand?“
    „Tja“, erwiderte der Ältere, „Gottes Wege sind unerforschlich. Auf Westberliner Trödelmärkten werden polnische Dauerwürste verhökert, mit dem Gewinn daraus, Ostberliner Läden leergekauft, und hier wird Filmmaterial von Agfa-Gevaert belichtet. Da ist die Synode im wahrsten Sinne des Wortes materialistisch; aber schließlich kann sie den Erdkrumen kaum Odem einhauchen, um uns mit Menschenmaterial zu versorgen. Aber genau das ist unser aller Problem!“ Er hielt inne und warf Gustav einen kurzen Blick zu. Dann, als der Junge ein betroffenes Gesicht machte, fuhr er fort: „Nebenbei bemerkt: Mit Dreharbeiten ist es vorläufig vorbei; unüberwindliche technische Probleme. Aber ich habe da eine Idee, bei der du mir vielleicht behilflich sein kannst.“ Wieder machte er eine Pause, derweil Gustav heißes Blut zu Kopf stieg. „Wie bekannt, ist die Lieblingszahl unserer stets rechthabenden Partei- und Staatsführung die Ziffer fünfundvierzig.“ Der Jüngere hob die Augenbrauen. „Nun ja, fünfundvierzig wurden wir von der Barbarei des Faschismus befreit, fünfundvierzig Minuten dauert eine Arbeitsstunde, weil man die restliche Viertelstunde zum Schlangestehen benötigt...“
    „...wie nach fünfundvierzig Minuten auch in den Schulen das Pausenzeichen ertönt“, fiel Gustav ein, „und fünfundvierzig Jahre nach Hitler werden wir die Diktatur des Proletariats stürzen, wenn nicht schon früher...“
    „Da bin ich mir zwar nicht so sicher“, zweifelte der Ältere, „aber schließlich ist es auch in einem sozialistischen Land das Vorrecht der Jugend, ein wenig zu träumen.“ Er lächelte breit, ehe er unvermittelt fortfuhr: „Dein Freund, dieser Johannes, den wir kürzlich nach der Vorstellung kennenlernten, macht auf mich einen sehr vernünftigen Eindruck, scheint ein helles Köpfchen zu sein, nicht wahr?“ Während Gustav nur zustimmend nickte, bog unter lautem Kreischen die Straßenbahn um die Ecke. Erdmann Jansen erhob sich, indem er meinte: „Falls du nichts Besseres vorhast, habe ich eine Bitte.“ Gustav war gleichfalls aufgestanden und sah den Älteren neugierig an. „Ich möchte, dass du mich mit deinem Freund zusammenbringst, und zwar sofort; ich würde mich gern ein wenig mit ihm unterhalten.“
    Gustavs gespannte Erwartungshaltung wich einer jähen Ernüchterung über das große Interesse, das Erdmann Jansen für Johannes an den Tag legte; die ursprüngliche Freudigkeit verwandelte sich in aufkeimende Eifersucht.
    Sie fanden Platz in der Elektrischen, und der Regisseur begann sogleich, seine Pläne zu entwerfen. „Frei heraus: Ich habe mir überlegt, ob wir nicht mit einigen Schülern der erweiterten Oberschule und dem traurigen Rest unseres Ensembles Schillers Räuber aufführen könnten. Ich meine: Es ist an der Zeit.“  
    Gustav verschlug es kurz den Atem; er starrte den anderen an, riss erst die Augen, dann den Mund deklamierend auf: „Fort muss er – seine Zeit ist abgelaufen.“
    „Was läuft der Pöbel zusammen?“ rief Erdmann Jansen so laut, dass die anderen Fahrgäste aufmerksam wurden. Ein anderer unbekannter Gessler antwortete von der hinteren Plattform her: „Den kecken Geist der Freiheit will ich beugen. Treibt sie auseinander!“
    „Wir sind das Volk!“ riefen die Menschen im Wagen und: „Reißt die Mauer ein! Wir haben´s aufgebaut, wir wissen´s zu zerstören!“
    Nachdem das johlende Gelächter und der brausende Szenenbeifall, mit der die Leute sich selbst zujubelten und beklatschten, abgeebbt war, fuhr Erdmann Jansen ganz nüchtern an Gustav gewandt fort: „Das ist Wilhelm Tell, das macht heut´ jeder. Unsere Sache kratzt tiefer und hängt natürlich ganz davon ab, ob man es riskieren kann, so wichtige Rollen wie den Leipziger-Karl und den Spiegelberg mit Laien zu besetzen, und bei dem Studenten Moor dachte ich an eben deinen Freund Johannes. Ob der sich wohl eine solche Rolle zutrauen würde?“
    Gustav stand die Enttäuschung auf dem Gesicht geschrieben, weshalb Erdmann Jansen ihn halb

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