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Letzter Gipfel: Ein Altaussee-Krimi (German Edition)

Letzter Gipfel: Ein Altaussee-Krimi (German Edition)

Titel: Letzter Gipfel: Ein Altaussee-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Dutzler
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das Leben gekostet hatten, ängstigte? Wo sie doch sonst so bestimmt und resolut auftrat.
    Gasperlmaier schritt voran, und zwischen den Latschen ging es ihm noch ganz gut. Zwar war es mühsam, den weglosen Steilhang zu queren, doch konnte er der Latschen wegen wenigstens nicht in den Abgrund hinuntersehen und fühlte sich ein wenig geborgen. Plötzlich schrie die Frau Doktor hinter ihm abermals auf. Als er sich umdrehte, fuchtelte sie hysterisch mit ihren Armen vor dem Gesicht herum, fuhr sich durch die Haare und wischte ihre Jacke ab. „Da war was!“, schrie sie mit sich überschlagender Stimme, die Gasperlmaier nicht von ihr gewohnt war. „Eine Spinne!“ Gasperlmaier trat ein paar Schritte auf sie zu, nahm Gesicht, Schultern und Haare in Augenschein, gewahrte einen kleinen schwarzen Punkt im Haar der Frau Doktor und dachte nur wenig nach, bevor er mit seinen Fingern durch ihre Mähne strich und den Punkt zu Boden streifte. „War nichts!“, sagte er beruhigend. „Doch! Da war ein Spinnennetz!“ Noch hatte sich die Frau Doktor nicht ganz beruhigt, da fiel Gasperlmaier ein, dass er es vielleicht besser hätte unterlassen sollen, der Frau Doktor durch die Haare zu streifen, denn das konnte ganz schnell missverstanden werden. Vor allem vom Kurt, der schon ein ganzes Stück voraus war und sicher nicht mehr verstehen konnte, worum es hier eigentlich gegangen war. Wider Erwarten aber wies ihn die Frau Doktor nicht zurecht, strich selbst mehrmals über die Stelle, wo sich der Punkt befunden hatte, und fragte, immer noch ein wenig zu schrill für Gasperlmaiers Ohren: „Ist sie weg? Ist sie weg?“ „Da war nichts“, antwortete Gasperlmaier. „Da war nur ein Punkt. Ein Brösel. Eine Mücke.“ Da die Frau Doktor nicht aufhören wollte, an ihrer Jacke herumzuputzen, und Gasperlmaier nicht wusste, was er sonst noch hätte tun können, wandte er sich um und stieg vorsichtig weiter. Wunderbar ist das, dachte Gasperlmaier bei sich. Da sind wir zwei da heroben, der eine mit Höhenangst, die andere mit einer Spinnen- und Schlangenphobie, und dann sollen wir auch noch nach Blutflecken und Leichenteilen suchen. Ein wirklich wunderbarer Tag war das geworden.
    Für die Frau Doktor, so dachte Gasperlmaier bei sich, als sie aus dem mit Latschen bewachsenen Teil des Steilhangs nach oben hinaustraten, mochte es ja angenehm sein, dass sie sich jetzt nicht mehr in einem Bereich befanden, in dem sich Spinnennetze quer über ihren Weg spannen oder unliebsame Kriechtiere im Schatten unter Wurzeln verbergen konnten. Ihm aber wurde sowohl, wenn er seine Blicke der immer drohender über ihm aufragenden Wand zuwandte, als auch, wenn er ins Tal hinunterschaute, immer mulmiger in seiner Haut zumute. Tief gebückt, die Augen, soweit er es vermochte, nur auf den Stein oder den Felsen geheftet, auf den er seinen nächsten Schritt zu setzen gedachte, schlich er dahin, wagte nicht, nach links und rechts zu sehen, und schwitzte erbärmlich. Gasperlmaier wusste verlässlich, dass sich unterhalb des Steilhangs, auf dem sie sich befanden, senkrechte Felsbänder verbargen, über die man recht gut zu Tode stürzen konnte. Schließlich machte es keinen großen Unterschied, ob man aus zwanzig oder aus zweihundert Meter Höhe mit dem Kopf auf einen Felsen schlug. Er wagte es gar nicht, den Kurt zu fragen, wie weit es noch bis zur Fundstelle sei, doch bald kam es ihm vor, als kletterten sie schon eine Ewigkeit hier in dieser Einöde herum. Plötzlich gewahrte Gasperlmaier vor sich eine Felsstufe, vielleicht zwei Körperlängen hoch, die der Kurt gerade unter Zuhilfenahme seiner kräftigen Arme überwand. Nicht einmal einen klaren Gedanken hatte er noch fassen können, drängte sich die Frau Doktor schon an ihm vorbei. „Was ist denn, Gasperlmaier, können S’ nicht mehr?“, schnaufte sie. Das Können, so dachte Gasperlmaier bei sich, das war hier überhaupt nicht die Frage, es ging mehr um das Wollen, das Müssen, oder das Sich-nicht-Trauen. Dennoch wollte er sich öffentlich vor der Frau Doktor keine Blöße geben. Beherzt trat er näher an die Felsstufe heran und fasste nach einem, wie es ihm schien, sicheren Griff. So ungeschickt, dachte Gasperlmaier, war er ja gar nicht, wenn da nur nicht die Angst vor der Tiefe gewesen wäre. Eigentlich war ja die Höhenangst, so dachte er bei sich, eine Tiefenangst, denn man ängstigte sich ja nicht vor der Höhe, die über einem aufragte, sondern vor der Tiefe, die unter einem gähnend klaffte. Und als

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