Letzter Gipfel: Ein Altaussee-Krimi (German Edition)
informierte alle lautstark darüber, dass er Gewebeteile gefunden habe und nun dabei sei, sie zu sichern.
Plötzlich fiel Gasperlmaier in der Nähe seiner linken Ferse etwas auf, das nicht hierhergehörte. Etwas Glitzerndes. Gasperlmaier beugte sich ein wenig vor und sah einen grünen Stein, der halb durchsichtig zu sein schien. Er tastete vorsichtig mit den Fingern danach, um nicht doch noch abzurutschen, bekam den Stein zu fassen und besah ihn sich genauer. Der Stein war in Silber gefasst, darüber befanden sich noch mehrere kleinere Steine derselben Farbe, und das ganze hing …
Gasperlmaier ließ den Stein fallen, als sei er von der Tarantel gestochen worden. Wild schüttelte er seine Finger, als ob ihm selbst Reste dessen, was an dem Schmuckstück gehangen war, noch gefährlich werden konnten. Vor sich im Geröll sah Gasperlmaier nun ein Ohrgehänge liegen, an dem deutlich sichtbar ein blutverschmiertes Ohrläppchen samt einem Teil der Ohrmuschel hing. Gasperlmaier zog sich, rücklings auf allen vieren, ein paar Schritte bergauf zurück und rief: „Ich hab da auch was gefunden!“ „Gleich!“, beschied ihm der Ingmar. Gasperlmaier konnte seinen Blick nicht von seinem schaurigen Fund abwenden und zeigte mit dem Finger darauf, als sich der Ingmar genähert hatte. Der beugte sich über den Fund. „Super, Herr Gasperlmaier! Toller Fund!“ So Tatortmenschen, dachte Gasperlmaier bei sich, mussten schon besonders feinfühlig sein, wenn sie über ein Schmuckstück, an dem noch ein Teil der ehemaligen Trägerin hing, in solche Begeisterung ausbrechen konnten. Man könnte meinen, er habe einen kiloschweren Steinpilz oder was Ähnliches gefunden. Der Ingmar bettete seinen Fund sorgfältig mittels einer Art Pinzette in einen Plastikbeutel und suchte die Umgebung nach weiteren Teilen der Verunglückten ab. „Sie sitzen am Ende mitten im Sturzbereich, Gasperlmaier“, meinte der Ingmar. Trotz des unter ihm gähnenden Abgrunds zog sich Gasperlmaier, rückwärts robbend, nun sicher zehn, zwanzig Meter weit zurück, um sich gegenüber weiteren ungewollten Funden abzusichern.
Nach einer, wie es Gasperlmaier schien, halben Ewigkeit, während der er krampfhaft damit beschäftigt war, nicht ins Tal hinunterzuschauen, fanden sich alle wieder an seinem Sitzplatz ein. „Ihr Fund, Gasperlmaier, war der interessanteste!“, beglückwünschte ihn die Frau Doktor. „Sonst haben wir nichts gar so Aufregendes gefunden – außer dem hier!“ Die Frau Doktor schwang voller Stolz einen Plastikbeutel vor Gasperlmaiers Augen hin und her. Zunächst konnte er nicht erkennen, was sich darin befand, es sah aus, wie zufällig zusammengeklaubter Müll. „Das Handy!“, erlöste ihn schließlich die Frau Doktor. „Viel ist zwar nicht davon übrig, aber ich bin mir ganz sicher, dass unsere Spezialisten von der SIM-Karte – die ist nämlich noch dabei, sehen Sie?“, sie hielt den Finger unter ein deformiertes Stückchen Kunststoff mit Metallstreifen darin – „noch etwas herunterlesen können“, vollendete sie ihren Satz. Gasperlmaier konnte sich nicht vorstellen, dass ihnen dieser Haufen Metall- und Kunststoffschrott noch irgendetwas verraten würde, aber die Frau Doktor, war er sich sicher, würde es wohl besser wissen.
Auf dem Rückweg hielt sich Gasperlmaier am Ende der Gruppe, verlor ein paarmal regelrecht den Anschluss, als er sich sehr steile Passagen im Rückwärtsgang, mit dem Gesicht zum Berg, hinuntertastete, und war am Ende, als sie den markierten Weg wieder erreichten, fix und fertig. Sowohl körperlich als auch seelisch. Er war sich sicher, dass er noch wochenlang von den Abgründen, die ihn umgeben hatten, und von einem Absturz träumen würde. So war es ihm schon einmal ergangen, denn in einem Anfall von Leichtsinn hatte er sich vor Jahren von ein paar Freunden überreden lassen, den Traunstein in Gmunden draußen zu besteigen, einen weithin berüchtigten Berg, auf dem alljährlich mehrere Verwegene ihr Leben lassen mussten. Ein ganzes Buch hing an einem Kreuz beim Einstieg, in dem alle verzeichnet waren, die hier zu Tode gestürzt waren. Wie man auf die Idee kommen konnte, angesichts dieser schier endlosen Opferliste da hinaufzusteigen, war ihm damals schon ein Rätsel gewesen. Gasperlmaier war ohnehin nur mitgegangen, weil der Beginn des Aufstiegs in dichtem Wald eher harmlos gewirkt hatte, und als man dann über mehrere Leitern in völlig unwegsames Gelände gestiegen war, hatte er nicht mehr gewagt, seine
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