Letzter Gipfel: Ein Altaussee-Krimi (German Edition)
Gartentor.
4
„Hallo!“, grüßte Gasperlmaier in das leere Vorhaus hinein. Nichts rührte sich. War am Ende niemand zu Hause? Doch nein: Es brannte ja überall das Licht. Gasperlmaier stieß die Küchentür auf und sah seine Christine am Herd herumfuhrwerken. „Hallo!“, machte sich Gasperlmaier noch einmal bemerkbar. Die Christine fuhr herum und begrüßte den Gasperlmaier mit einem Lächeln. „Hallo! Bist du schon da?“ Fast wäre Gasperlmaier versucht gewesen, zu antworten, nein, er sei noch auf dem Polizeiposten, da drehte sich die Christine schon wieder zum Herd um. „Es gibt Kasspatzen! Die magst du doch so gern!“ Gasperlmaier erinnerte sich an die übergroße Portion desselben Gerichts, die er heute schon in der Loserhütte gegessen und nicht bei sich behalten hatte können. Er verspürte wenig Lust auf eine Neuauflage und verzog den Mund, was die Christine aber nicht sehen konnte.
„So“, sagte sie, „schon fertig!“, und wandte sich Gasperlmaier zu, der einen Kuss bekam, den er eifrig erwiderte. Eine schöne Frau war seine Christine, darauf bestand Gasperlmaier, und trotz ihrer fünfundvierzig Jahre noch resch und frisch, wie er fand. Nur durfte man in ihrer Gegenwart das Wort „noch“ nicht verwenden, wenn es auf ihr jugendliches Aussehen angewandt wurde. „Wenn sich das Wort ‚noch‘ einschleicht“, pflegte sie zu sagen, „wenn dir wer ein Kompliment macht, dann ist eh schon alles zu spät.“ Gasperlmaier versuchte, sie ein wenig an sich zu drücken, doch die Christine machte sich los. „Wir haben einen Gast!“, lächelte sie, und erst jetzt, als er sich umdrehte und einen groß gewachsenen, hageren Mann mit langen Haaren an ihrem Esstisch gewahrte, erinnerte sich Gasperlmaier an den VW -Bus. Als die Christine auf ihn zuging, erhob er sich. „Das“, so stellte die Christine ihn vor, „ist der Beda, und das“, sie wies dabei auf den Gasperlmaier, „ist mein Mann, der Franz.“ So nannte ihn die Christine normalerweise nur, wenn sie böse auf ihn war. Gasperlmaier trat auf den Mann zu und schüttelte ihm die Hand. Wie konnte jemand Beda heißen? Der Kerl hatte eingefallene Wangen, roch irgendwie seltsam und grinste Gasperlmaier geistesabwesend ins Gesicht. Der wartete auf Erklärungen, die sogleich folgten. „Den Beda kenne ich noch vom Studium. Wir haben …“ Die Christine unterbrach sich, musste sich räuspern und setzte ein wenig unsicher fort: „Er hat eine Zeitlang in der gleichen WG gewohnt wie ich.“ Gasperlmaiers Miene verfinsterte sich. Die WG, das war ein dunkler Punkt in der Vergangenheit der Christine, der sich für Gasperlmaier noch nicht zur Gänze erhellt hatte. Die Christine hatte vor mehr als zwanzig Jahren an der Pädagogischen Akademie in Salzburg draußen studiert, und anscheinend hatte sie dort in der Großstadt auch ein wildes, ausschweifendes Leben in einer Wohngemeinschaft geführt, über die Gasperlmaier außer einem wissenden Lächeln der Christine niemals Genaueres hatte erfahren können. „Du musst nicht alles wissen, eine Frau bleibt nur interessant, wenn sie sich mit einem kleinen Geheimnis umgibt!“, pflegte sie Gasperlmaier abzuwimmeln. „Ich weiß ja auch nicht alles über dich!“ Bei ihm, dachte Gasperlmaier bei sich, gab es weder viel zu wissen noch geheim zu halten. Er hatte lang bei seiner Mutter gewohnt, hatte die Polizeischule besucht, weil sein Vater auch Polizist gewesen war und den Beruf für solide hielt, und Gasperlmaier hatte dem nicht viel entgegenzusetzen gehabt. Beziehungen zu Frauen hatte er so gut wie gar nicht gehabt, bevor ihn die Christine erobert hatte, und das Einzige, was er vor ihr bisher geheim gehalten hatte, war, dass er als Jugendlicher manchmal durch die Ritzen der Umkleidekabinen am Badeplatz draußen am Kahlseneck gespäht hatte. Wenig genug war dabei zu sehen gewesen. Ein wahrlich wenig aufregendes Leben.
Der Kerl, mit dem Gasperlmaier jetzt am Tisch saß, sah deutlich schneller gealtert aus als die Christine, die jetzt, während sie die Teller und das Besteck herbrachte, zu Erklärungen ausholte: „Der Beda, der war früher auch Lehrer. Deutschlehrer. Jetzt ist er aber Schauspieler, Musiker und Performancekünstler.“ Ein gewisses Strahlen, das von der Christine ausging, entging Gasperlmaiers Aufmerksamkeit nicht. Zudem hatte sie die Erklärung zum Beruf des seltsamen Gastes mit einer solchen Inbrunst vorgetragen, als wäre der der Bundeskanzler persönlich. Gasperlmaier hingegen nötigte es keinen
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