Letzter Gipfel: Ein Altaussee-Krimi (German Edition)
die Mails mit den wichtigsten Informationen, aber ich kann mich nicht einmal mehr erinnern, wann ich zuletzt mit ihr gesprochen habe. Ich weiß allerdings noch, worüber: Ich wollte wissen, ob sie im nächsten Jahr eine Klasse als Klassenvorstand übernehmen kann. Sie war bereit dazu.“ Irgendwie erinnerte sie Gasperlmaier an eine ältere Version der Frau Doktor: Beide bewegten sich zielstrebig, redeten klar und sachlich, blieben dabei distanziert, aber freundlich. Unter Männern, so dachte Gasperlmaier bei sich, war das nicht so einfach. Gespräche endeten stets in einem Gerangel darum, wer der Bessere, Stärkere und so weiter war, die Frauen versuchten einfach bloß, Informationen auszutauschen. Da waren sie, so fand Gasperlmaier, den Männern weit voraus.
„Können Sie mir kurz ein Bild von Frau Eisel geben?“, fragte die Frau Doktor. „Gern. Sie war zielstrebig, ehrgeizig, hat großen Wert auf untadeliges Äußeres gelegt und war eine echte Stütze hier in der Schule. Sie hat vieles angetrieben, bewegt, Projekte initiiert. Es wäre mir sehr leid um Sie, wenn Ihr Verdacht zutreffen sollte.“ Der Direktor im Gymnasium hatte Ähnliches gesagt über die Frau Eisel, fiel Gasperlmaier auf, nur hatte es bei ihm eher abwertend als positiv geklungen.
„Nach meinem ersten Eindruck“, setzte die Frau Doktor nach, „gab es ziemliche Unterschiede in Lebensstil und, na ja, generellen Auffassungen zwischen der Frau Eisel und ihrem Mann?“ Die Direktorin nickte. „So sehe ich das auch. Soweit ich weiß, hat es in der Ehe zeitweilig ziemlich gekriselt. Das mit den Auffassungen möchte ich so nicht unterschreiben, sie waren beide eher so grün-links eingestellt, der Herr Eisel mehr der Ministrantenfraktion nahe, sie war generell kirchenkritisch eingestellt.“ „Ministrantenfraktion?“ Die Frau Doktor hatte den Ausdruck, so wie Gasperlmaier, offensichtlich noch nie gehört. „Na ja“, die Frau Direktor lächelte, „so bezeichne ich für mich selbst diese grün-katholische Fraktion, die unter Lehrerinnen und Lehrern, glaube ich, recht populär ist. Sofern sie nicht generell tiefschwarz sind. Hier im Salzkammergut“, fügte sie hinzu, „ist es nicht ganz so schlimm – hier waren die Menschen von jeher widerständig und zum Großteil protestantisch, das war nie ein guter Boden für die Schwarzen.“ Gasperlmaier fand es erstaunlich, dass die Frau Direktor Politisches so offen ansprach – wo sie ja nicht wissen konnte, wie die Frau Doktor politisch dachte. Aber vielleicht, so dachte Gasperlmaier bei sich, fühlten Frauen so etwas ja. Wie er von seiner Frau wusste, spürten Frauen vieles, was Männern ewig ein Rätsel blieb. Vielleicht hatte er ja – obwohl er die beiden Frauen während des Gesprächs ständig beobachtet hatte – wichtige körpersprachliche Signale übersehen, die ein unausgesprochenes Einverständnis zwischen den beiden signalisierten.
„Frau Direktor“, sagte nun die Frau Doktor, „um ganz offen mit Ihnen zu sein: Wir haben Hinweise darauf, dass beim Tod der Frau Eisel Fremdverschulden vorliegt. Wenn sie also nicht mit ihrem Mann Bergsteigen war – haben Sie dann einen Verdacht, mit wem sie auf dem Loser gewesen sein könnte? Die Person muss ja nicht notwendigerweise der Täter sein.“ Die Frau Direktor legte eine Hand um ihr Kinn und antwortete nicht sofort. „Es ist schwierig und vielleicht unverantwortlich, der Polizei gegenüber Gerüchte zu erwähnen. Ich weiß nicht, warum, aber ich vertraue Ihnen.“ Dabei, so schien es Gasperlmaier, sah sie der Frau Doktor in die Augen, warf aber auch ihm einen kurzen Seitenblick zu, der, wie ihm vorkam, nicht gänzlich von Zweifeln frei war. „Bitte behandeln Sie Gerüchte also als solche, und erwähnen Sie keinesfalls mich als Informationsquelle. Das muss unter uns bleiben!“ Gasperlmaier war gespannt. Die Frau Direktor beugte sich ein wenig vor und sprach nun leiser. „Es gibt zwei Männer, die den Gerüchten zufolge, die mir zugetragen wurden, ein Verhältnis – welcher Art auch immer – mit der Frau Eisel hatten. Der eine war ein Kollege hier und unterrichtet jetzt in Bad Aussee. An der Höheren Lehranstalt.“ Gasperlmaier spitzte die Ohren. Das war ja an der Schule seiner Katharina! „Sein Name ist Kaspar Fritzenwallner.“ Seltsamer Name, dachte Gasperlmaier bei sich, aber die Frau Direktor fügte gleich eine Erklärung hinzu. „Er kommt aus dem Pongau, aus irgendeinem Tal, da heißen fast alle so, und der Vorname ist dort durchaus
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