Letzter Gipfel: Ein Altaussee-Krimi (German Edition)
man nicht vergaß. Schwarze Haare, schwarze Kleidung – diesmal mit viel Spitze und Rüschchen, schwarze Ringe um die Augen und blutroter Mund. Ein bisschen sah sie aus wie ein Vampir, dachte Gasperlmaier bei sich, und ihre Beschäftigung war dem Blutsaugen ja nicht unähnlich. Zuerst saugten sie alle möglichen und unmöglichen Wortspenden aus den Leuten heraus, dann wurde alles verunstaltet, aufgeblasen, verfälscht und der Meute wieder zum Kauf vorgeworfen.
Die Frau Doktor bedachte die Maggie nur mit einem abschätzigen Blick. Doch die ließ sie nicht so ohne weiteres ziehen. „Übrigens, Frau Doktor, ein Foto der Dahingeschiedenen hab ich schon!“ Sie wies zunächst auf die Kamera in ihrer einen Hand, dann auf den Schaukasten, der hinter ihr hing. Unter der Überschrift „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ hingen postkartengroße Fotos aller Lehrerinnen, Lehrer und sonstigen Mitarbeiter der Schule. Bis hin zum Reinigungspersonal. Natürlich konnte man den verschiedenen akademischen Titeln entnehmen, wer zu welcher Gruppe gehörte, sonst aber waren die Fotos fein säuberlich alphabetisch sortiert, wie Gasperlmaier feststellte, als er näher trat. Gasperlmaier besah sich das Foto der Frau Eisel. Der Direktor hatte nicht zu viel versprochen. Eine elegante, blonde Dame mit kirschroten Lippen lächelte Gasperlmaier entgegen, und das Foto schien ihm professionell beleuchtet und gestaltet. „Mag. Simone Eisel, Italienisch und Französisch“ stand darunter.
Die Frau Doktor seufzte und hob ihre Augenbrauen. „Sie darum zu bitten, sich an die Fakten zu halten, wäre wahrscheinlich vergebliche Liebesmühe“, sagte sie zur Maggie. Gasperlmaier meinte, einen ironischen Unterton in ihrer Stimme wahrnehmen zu können. „Wenn Sie es wenigstens bleiben lassen könnten, Menschen zu verleumden oder auf den Gefühlen Hinterbliebener herumzutrampeln, wäre ich schon zufrieden.“ Die Frau Doktor wandte sich ab. Die Maggie meinte noch hämisch: „Was wir schreiben, Frau Doktor, liest die ganze Steiermark. In diesem Fall sogar ganz Österreich! Was Sie sagen, interessiert niemanden!“ Die Maggie, fand Gasperlmaier, war eine ausgewachsene Landplage. Er folgte der Frau Doktor den Gang hinunter. Als er sich kurz nach der Maggie umwandte, hatte sie gerade die Kamera auf ihn gerichtet und drückte ab. „Mit so was müssen wir leben, Gasperlmaier. In den Augen von denen machen wir alles falsch. Von der Prävention weg bis zur Bestrafung von Triebtätern. Wir sollten uns gar nicht bemühen, denen schönzutun.“ Sie seufzte resigniert und deutete auf das Türschild, das sie soeben gefunden hatte: „Sekretariat“. „Wegen des Fotos machen Sie sich keine Gedanken, was soll sie schon damit anfangen. Die wollte Sie nur ärgern.“ Sie öffnete die Tür.
Drinnen bot sich ein ähnliches Bild wie in der Schule zuvor. Bloß ein wenig schneller ging es hier. Als sich die Frau Doktor vorgestellt hatte, hieß es nur: „Wir haben schon damit gerechnet, dass Sie kommen. Gehen Sie hinein, die Frau Direktor erwartet Sie!“, und schon waren sie in der Direktion.
Die Frau Direktor war eine grauhaarige Dame mit einem flotten Kurzhaarschnitt, ebenso groß wie die Frau Doktor, stellte Gasperlmaier fest, als sie sich die Hand schüttelten. „Ich wollte schon fast bei der Polizei anrufen, nachdem diese Journalistin gegangen ist. Ein extrem aufdringliches Frauenzimmer. Möchten Sie Kaffee?“ Die Frau Doktor nickte. „Gern. Sie auch, Gasperlmaier?“ Gasperlmaier konnte sich, wie üblich, nicht entscheiden und nickte der Einfachheit halber auch, um die Prozedur abzukürzen. Eigentlich aber war ihm nicht nach Kaffee.
Die Frau Direktor kam gleich zur Sache, nachdem sie ihnen Platz angeboten hatte. „Können Sie mir sagen, was an dem dran ist, das die Journalistin erzählt hat?“ Die Frau Doktor informierte die Direktorin kurz und sachlich, wobei sie wenig Zweifel daran ließ, dass die Tote Simone Eisel sei. „Oder haben Sie in den letzten beiden Tagen irgendeinen Kontakt zu ihr herstellen können?“
Die Sekretärin kam mit einem Tablett mit Kaffeetassen. Die Frau Doktor nahm eine davon und nippte an dem schwarzen, ungezuckerten Getränk. Gasperlmaier wollte nicht umständlich erscheinen und tat es ihr gleich, obwohl Milch und Zucker ebenfalls auf dem Tablett vorhanden waren. Die bittere Brühe schmeckte ihm nicht.
„Ich hatte in den letzten Tagen keinen Grund, die Frau Magister Eisel anzurufen. Sie kriegt natürlich regelmäßig
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