Letzter Gipfel: Ein Altaussee-Krimi (German Edition)
denn der Mörder, so dachte Gasperlmaier, konnte doch nicht zwei Autos nach Hause gelenkt haben. Natürlich, gestand er sich ein, wäre es auch nicht allzu kompliziert gewesen, mit einem Fahrrad noch einmal herzukommen, das Rad im Kofferraum zu verstauen und das Auto irgendwo verschwinden zu lassen.
Als sie zur Kehre sieben kamen, hatte Gasperlmaier eine Idee. Es gab da eine kurze Forststraße, die hinüber zur Skiabfahrt führte. Früher, als man – mangels Skilift – noch mit dem Bus hatte hinauffahren müssen, um mit den Skiern wieder abzufahren, war der Bus bei Lawinengefahr bereits hier in der Kehre sieben stehen geblieben, und man hatte die Straße zu Fuß zur Abfahrt hinübergehen müssen. Gasperlmaier nahm die Kehre nicht, sondern fuhr geradeaus weiter. „Wo fahrst denn hin?“, fragte der Friedrich ein wenig unwirsch. „Gleich ist Dienstschluss!“ „Nur da schauen wir noch.“ Doch nach wenigen hundert Metern endete die Forststraße, und kein BMW war in Sicht. „Weißt du was, Gasperlmaier“, sagte der Friedrich, „derweil du umdrehst, steig ich aus. Ich muss eh einmal.“ Der Friedrich wuchtete seinen massigen Leib zur Tür hinaus, und Gasperlmaier tat sein Möglichstes, um auf dem engen zur Verfügung stehenden Platz sein Fahrzeug zu wenden, ohne dass es mit ihm den Abhang hinunterging. Er konnte ja seinen Kopf kaum drehen und musste mit den Rückspiegeln das Auslangen finden. Als er wieder in Fahrtrichtung stand, kam der Friedrich aufgeregt gestikulierend auf ihn zu. „Steig aus, Gasperlmaier! Steig aus! Der BMW!“ Gasperlmaier hatte zwar nichts gesehen, folgte dem Friedrich aber dennoch. Dann sah er die Reste des BMW im Wald hängen. Von der Straße führten deutliche Spuren zu dem Fahrzeug hinunter, die zeigten, dass es sich mehrmals überschlagen haben musste. Der Wagen selbst hing verkeilt zwischen Bäumen im Steilhang. „Müssen wir hinunter?“, fragte Gasperlmaier zögernd. Der Friedrich kratzte sich am Kopf. „Ich weiß nicht, Gasperlmaier. Wenn wir annehmen, dass der Mörder da drinsitzen könnte, kann es sein, dass er noch lebt?“ Gasperlmaier erinnerte sich an verschiedene Geschichten, die er in der Zeitung gelesen hatte. Drei Tage, sogar fünf Tage hatten Unfallopfer manchmal überlebt, bevor sie gefunden worden waren.
„Gasperlmaier, du bist der Sportlichere von uns beiden. Du gehst hinunter, und ich halte hier die Stellung.“ Gasperlmaier sah den Kahlß Friedrich ein wenig verunsichert an und deutete auf seine Halskrause. „Ich bin ja praktisch im Krankenstand! Könntest nicht ausnahmsweise einmal du …“ Der Friedrich machte eine wegwerfende Handbewegung. „Gasperlmaier, du bist doch so ein Sportler! Und schließlich hast du die Krause ja am Hals, nicht an den Füßen!“ Achselzuckend machte sich Gasperlmaier auf den Weg den Abhang hinunter. Durch die Nässe der vergangenen Tage war der Hang rutschig, und er hatte zu tun, sich an jungen Bäumen, teilweise auch Grasbüscheln und Baumstümpfen festzuhalten, um nicht abzurutschen. Er ließ sich Zeit, denn er hatte wenig Lust, unten bei dem Autowrack anzukommen und womöglich eine halb verweste Leiche darin zu entdecken. Davon, so dachte er bei sich, hatte er in den letzten Tagen wahrlich genug gesehen. Sein Bedarf an Leichen, verwest oder nicht, übel zugerichtet oder hübsch aufgebahrt, egal, der war gedeckt. Während er weiter nach unten stieg, nahm er wahr, dass der Friedrich die Feuerwehr und die Bergrettung alarmierte. So viel zum Thema Dienstschluss, dachte Gasperlmaier. Es war jetzt schon fünf vorbei, und ein Ende des Einsatzes war nicht abzusehen.
Langsam kam er den Resten des BMW näher. Wenn einer, so fand Gasperlmaier, was übrig hatte für schöne Autos, dann war das schon auch eine Tragödie, wenn ein einst funkelndes und glänzendes Fahrzeug sein Ende zerbeult und dreckig zwischen regennassen Fichten fand. Gasperlmaier blieb stehen, um zu sehen, ob sich ein Mensch im Fahrzeug befand. Es war niemand auszumachen. Wenn einer drinsaß, dachte er, dann musste er über dem Lenkrad zusammengesunken sein und war aus seiner Perspektive nicht zu sehen. Dann allerdings hatte er jetzt wenig zu lachen: Das Autodach war genau über dem Fahrersitz tief eingedrückt, sodass darunter kaum noch Platz für einen menschlichen Körper schien. Zumindest für einen, der noch halbwegs intakt war. Herausgekommen, dachte Gasperlmaier, ist aus dem Auto nach dem Absturz keiner mehr. Vorsichtig tastete er sich weiter, doch plötzlich
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