Letzter Gruss - Thriller
beiseite und steuerte auf den Gang gegenüber der Espressobar zu.
Das Museum war nahezu leer. Irgendwo weiter hinten in den Katakomben hörte sie Leute leise miteinander sprechen, sah aber niemanden.
Schließlich erreichte sie den richtigen Saal.
Da hing es. Sie erkannte es sofort wieder.
»Der sterbende Dandy«, Öl auf Leinwand, eineinhalb Meter hoch, knapp zwei Meter breit. Eines der berühmtesten Gemälde Schwedens aus dem vergangenen Jahrhundert.
Sie stellte sich davor und fühlte sich eigenartig berührt.
Es war ein beeindruckendes Werk, mit fließenden Formen und starken Farben: der eitle Mann, der sterbend auf seinem weißen Kissen liegt, den Spiegel noch immer in der Hand. Seine ebenso selbstgefälligen Freunde sind um ihn versammelt. Sie trauern, doch der Einzige, der weint, ist der Mann in der oberen linken Bildecke. Er trägt ein violettes Jackett und ein orangefarbenes Hemd. Die Frau, die den Dandy und das weiße Kissen auf dem Schoß hält, sieht beinahe amüsiert aus.
Es bestand kein Zweifel, dieses Gemälde war das Vorbild des Mordes auf Dalarö.
Die Mörder mussten das Bild gekannt haben. Vielleicht waren sie hier gewesen. Hatten möglicherweise genau dort gestanden, wo sie jetzt stand, und versucht, Dardels Werk zu ergründen: War es eine Allegorie über die Willfährigkeit der Schöpfung? Oder
wollte Dardel schlicht und einfach die verbotene Homosexualität thematisieren?
Der Gedanke jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Sie atmete tief durch, blickte hinauf zur Decke und spürte, wie das Adrenalin durch ihre Adern schoss.
Ganz oben in einer Ecke, direkt über der Tür, hing eine diskrete Überwachungskamera.
Irgendwo wurde sie gerade auf Film aufgenommen.
Sie zückte ihr Handy und rief Gabriella an.
36 »
Sie stellen also Kunstwerke nach?«, fragte Jacob skeptisch.
Dessie hielt eine Farbkopie von Dardels Meisterwerk und das Foto von Dalarö in die Höhe.
Ihr Gedanke hatte sich als richtig erwiesen.
Gabriellas Schreibtisch war von Jacobs Postkarten und den Leichenfotos übersät. Daneben lagen Bilder, die sie aus dem Internet heruntergeladen hatten. Gabriella betrachtete die Bilder und machte große Augen.
»Du lieber Himmel«, sagte sie und griff nach dem Foto der ermordeten Deutschen.
»Also, entschuldigen Sie, aber wovon reden Sie eigentlich?«
Dessie betrachtete Jacobs zerzauste Haare, sie sahen aus, als hätte er sie sich buchstäblich gerauft.
»Sie arrangieren die Leichen nach dem Vorbild berühmter Kunstwerke«, sagte sie. »Sehen Sie, hier.«
Dessie griff zu dem Bild aus Paris. Emily und Clive Spencers Körper saßen nebeneinander im Bett, beide mit der rechten Hand über der linken auf dem Bauch.
»Mona Lisa«, sagte sie und legte eine Kopie von Da Vincis berühmtem Gemälde daneben. Als Jacob nach den Blättern griff, verknickten sie.
Die geheimnisvoll lächelnde Frau auf dem Bild hielt die rechte Hand auf der linken über den Bauch gelegt.
»Scheiße, tatsächlich«, flüsterte er. »Sie imitieren Kunstwerke.«
»Karen und Billy Cowley«, sagte Dessie.
Sie legte ihm das Bild des ermordeten Paares aus Berlin vor. Im Profil aufgenommen, die Seite mit den ausgestochenen Augen der Kamera zugewandt.
Daneben legte sie das Bild einer ägyptischen Statue.
»Die Büste der Nofretete. Kein anderes Kunstwerk aus dem antiken Ägypten ist so häufig kopiert worden. Steht im Alten Museum in Berlin.«
Gabriella beugte sich vor. Auf ihren Wangen leuchteten zwei rote Flecken. Dessie schielte zur ihr hinüber.
Sie waren zusammen dort gewesen, im Alten Museum, in ihrem ersten gemeinsamen Urlaub.
Jacob griff nach dem Bild und studierte es eingehend.
»Was meinen Sie?«, fragte er. »Was hat ihr linkes Auge mit der Sache zu tun?«
»Der Büste der Nofretete fehlt das linke Auge«, antwortete Gabriella.
37
Dessie hatte sich nie besonders für Kunst interessiert. Doch während der Ehe mit Christer hatte sie aus reinem Selbsterhaltungstrieb eine Menge darüber gelernt. Sie wollte auf den Vernissagen nicht als die dumme Trulla aus Norrland dastehen. Tiefere Gefühle oder Freude hatte die Kunst jedoch nie in ihr ausgelöst.
Gabriella hingegen hatte ein echtes Kunstinteresse. Sie hatte sich sehr gut mit Christer verstanden, sogar besser, als Dessie es jemals getan hatte.
»Amsterdam«, sagte Dessie und legte die nächste Kopie vor. »Vincent van Gogh, schon mal gehört?«
Jacob sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Ich bin Amerikaner«, sagte er. »Kein
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