Letzter Gruss - Thriller
Stra-ßenlaternen.
Sie war hübsch, aber nicht auffallend schön. Ihr Profil war klassisch rein und klar, wie das einer antiken Statue. Anscheinend schminkte sie sich nicht, sie trug nicht einmal Wimperntusche.
»Warum glauben Sie, dass sie schuldig sind?«, fragte er und beobachtete ihre Reaktion.
Sie warf ihm einen schnellen Blick zu und wischte sich mit der Serviette den Mund ab.
»Die Leichen«, antwortete sie. »Wir wissen, dass sie nach Gemälden arrangiert werden, und die Rudolphs sind Kunststudenten. Ich weiß nicht, aber irgendwas ist da, diese Mischung aus Kunst und Realität …«
Er warf die Folie und die Reste des Kartoffelbreis in den Abfalleimer neben der Bushaltestelle.
»Wieso Mischung aus Kunst und Realität, verdammt nochmal? Entweder ist es Kunst, oder es ist Realität.«
Dessie blickte ihn ernst an.
»Es ist gar nicht so ungewöhnlich, dass Kunststudenten beides vermischen. Vor ein paar Jahren hatten wir hier mehrere solcher Fälle. Erst war da ein Mädchen, das beim Psychologischen Krisendienst eine Psychose vorgetäuscht hat, als Teil ihrer Examensarbeit in Kunst. Sie hat eine ganze Nacht lang sämtliches Personal der Station auf Trab gehalten. Alle, die wirklich krank oder
selbstmordgefährdet waren, mussten wieder umkehren und nach Hause fahren.«
»Sie machen Witze«, sagte Jacob.
»Keine Spur. Dann hatten wir einen Typen, der einen U-BahnWagen verschandelt hat. Er hat ihn komplett mit schwarzer Farbe beschmiert, ein Fenster zerschlagen und dabei alles gefilmt. Den Film hat er ›Territorial pissing‹ genannt und auf einem Kunstfestival gezeigt. Es hat 100 000 Kronen gekostet, den Wagen zu reparieren.«
»Und ich dachte immer, solche Idioten gäb’s nur in Amerika«, sagte Jacob und sah auf seine Uhr. »Apropos Amerika, ich müsste ein paar Sachen erledigen. Wissen Sie, wo ich an einen Computer komme?«
Sie sah ihn an, und ihre Augen waren groß und grün.
»Bei mir zu Hause.«
57
Zum ersten Mal seit fast einem halben Jahr betrat er wieder eine richtige Wohnung.
Es war ungewohnt, beinahe ein bisschen feierlich.
Gleich hinter der Tür zog er die Schuhe aus, weil sie es auch tat.
Sie wohnte in einer sparsam möblierten Vierzimmerwohnung mit hohen Decken, Spiegeltüren, Stuck und Kachelöfen in jedem Raum.
Jacob stieß unbewusst einen Pfiff aus, als er das Wohnzimmer betrat. Drei große Fenster und dahinter ein riesiger Balkon mit einem fantastischen Blick auf Stockholms Wasserpanorama.
» Shit «, sagte er, »wie sind Sie denn an diese Bude gekommen?«
»Das ist eine lange Geschichte«, entgegnete sie. »Der Rechner steht in der Mädchenkammer.«
Sie zeigte auf einen kleinen Raum neben der Küche.
»Sie haben nicht zufällig Wein da oder so?«
»Leider nein«, sagte sie. »Ich trinke eher selten.«
Dessie schaltete den Rechner für ihn ein. Ihm fiel auf, dass sie nach Obst duftete.
Er schickte zwei Mails mit ungefähr demselben Inhalt ab: eine an Jill Stevens, seine engste Mitarbeiterin beim NYPD, und eine an Lyndon Crebbs, einem pensionierten FBI-Agenten, der sein Mentor gewesen war.
Die Mails waren kurz und knapp. Er bat um Informationen zu Malcolm und Sylvia Rudolph, gemeldet in Santa Barbara, Kalifornien, und William Hamilton, Sylvias früherem Lover, der nach ihren Angaben irgendwo im Westen von Los Angeles wohnte. Alles, was auch immer es sein mochte, war von Interesse, einfach alles.
Anschließend ging er wieder in die Küche.
»Ich habe noch eine Flasche Roten gefunden«, sagte Dessie. »Gabriella muss sie hier vergessen haben. Keine Ahnung, ob der noch trinkbar ist.«
»Wird schon«, sagte Jacob. »Gießen Sie einfach ein.«
Sie hatte offenbar keine Übung im Umgang mit Korkenziehern, er musste ihr helfen, die Flasche zu öffnen.
Sie setzten sich auf die Sofas in ihrem Wohnzimmer, ohne Licht zu machen.
Jacob lehnte sich zurück und ließ sich in die Polster sinken.
Ein weißes Boot draußen auf dem Wasser hielt Kurs auf Stockholms City.
»So eine Aussicht müsste man haben«, sagte er und beobachtete sie aus den Augenwinkeln. »Wie war das noch mit der langen Geschichte?«
58
Dessie drehte ihr Glas zwischen den Fingern.
Sie hatte noch nie jemandem die ganze Wahrheit über ihren Wohnungskauf erzählt, nicht einmal Christer oder Gabriella. Wieso sollte sie es ausgerechnet Jacob Kanon gegenüber tun?
Zumal er auch noch Polizist war.
»Ich habe eine größere Summe geerbt«, sagte sie. »Von meiner Mutter.«
Jacob hob die Augenbrauen ein
Weitere Kostenlose Bücher