Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi
Natalie nicht antwortete, noch eine Nuance angewiderter dreinschaute, zur Abwasch ging und sich ein Glas Wasser herunterließ. „Und die Höller Sabrina hat jetzt ein Tattoo!“, informierte sie trotzig eher den Wasserhahn als das Trio am Tisch. „Nur ihr seid’s so gemein!“ Plötzlich schossen ihr die Tränen in die Augen. „Keine hat so rückständige Eltern wie ich!“ Und schon war sie wieder draußen bei der Tür und stampfte die Stiegen hinauf, in ihr Zimmer, wie Gasperlmaier vermutete. Sogar für eine Pubertierende ein recht extravagantes Benehmen, dachte Gasperlmaier bei sich. Gleichzeitig war er froh, dass sein Sohn, der Christoph, ohne viel Aufhebens durch die Pubertät sozusagen hindurchgeschlüpft war, während seine Tochter Katharina, fünfzehn Jahre alt, derzeit bei einer Freundin der Christine in Cornwall weilte und so Gasperlmaiers Nerven gezwungenermaßen schon seit drei Wochen schonte.
Die Evi schüttelte verzweifelt den Kopf, selber schon wieder den Tränen nahe. „Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht, was ich mit ihr tu!“ Der Kahlß Friedrich legte ihr beruhigend seine Pranke auf die Schulter. „Wird schon werden. Die Pubertät halt. In der Schule ist doch alles in Ordnung, oder?“ „Schon!“, antwortete die Evi, dann flossen wieder die Tränen. Jetzt, dachte Gasperlmaier, ist es eh schon wurscht, und schenkte die drei Stamperl noch einmal voll. Jetzt, dachte er, würde er halt der Frau Doktor morgen Früh ohne konkrete Details gegenübertreten müssen. Und das in seiner ersten selbstständigen Ermittlertätigkeit. Aufgespielt hatte er sich auch noch, dass er und der Kahlß mit der Evi sicher besser umgehen würden können. Da saßen sie nun, die Evi hatte noch kein Wort zum Fall gesagt, und Gasperlmaier spürte förmlich, wie seine Konzentrations- und Koordinationsfähigkeit mehr und mehr dem einsetzenden Alkoholrausch zum Opfer fielen.
Da plötzlich fing die Evi zu erzählen an, und Gasperlmaier und der Friedrich brauchten gar nichts zu fragen, sie hätten sich nur mehr oder weniger genau merken müssen, was die Evi hervorsprudelte, was zumindest ihm, Gasperlmaier, schon schwerfiel.
„Angefangen hat es mit dem Doktor Naglreiter im Frühjahr. Zuerst ist es mir ja nicht aufgefallen, aber plötzlich war er immer wieder im Zimmer, wenn ich etwas gemacht hab. Und eigenartige Komplimente hat er mir gemacht. Wie hervorragend mir mein Dirndl steht. Und dass es doch ganz was anderes sei, wenn eine gestandene Altausseerin in so einem Dirndl vor einem stehe. Und zuerst hab ich mir ja wirklich nichts dabei gedacht. Aber es ist mir dann doch unangenehm gewesen, weil ich ihn dabei erwischt hab, wie er mir auf den Hintern starrt, wenn ich mich wo drübergebeugt hab, oder wie er versucht hat, mir in den Ausschnitt zu schauen.“
„Siehst du“, unterbrach sie nun der Kahlß Friedrich, „das ist, was die Frau Doktor mit sexuelle Belästigung gemeint hat. Hat er was von dir wollen?“
Die Evi nahm einen Schluck von dem Schnaps, den Gasperlmaier eingeschenkt hatte. „Was weiß denn ich. Vielleicht wollte er nur schauen. Und ich war so blöd, mir hat es am Anfang sogar noch gefallen. Der Georg, der schaut mich ja nicht einmal mehr richtig an.“ Der Georg, das war der Mann von der Evi, der Bruder vom Friedrich, aber körperlich sein ganzes Gegenteil, lang, hager und etwas ausgemergelt schlich der durch die Gegend. Der Georg war einer der letzten Bergmänner in Altaussee, denn obwohl das Salzbergwerk vor dem Zusperren gerettet worden war, kam es mit einer ganz kleinen Belegschaft aus.
Dass sich der Georg mit Familiennamen Kitzer schrieb, während sein leiblicher Bruder als Kahlß Friedrich durch Altaussee patrouillierte, lag daran, dass ihre Mutter den Friedrich ledig zur Welt gebracht und ihm den Namen gelassen hatte, was im Salzkammergut durchaus nichts Ungewöhnliches war, auch damals vor mehr als einem halben Jahrhundert nicht, als der Friedrich das Licht der Welt erblickt hatte.
Siehst du, dachte sich Gasperlmaier, das hätten wir ohne den Schnaps niemals erfahren, denn über ihren Mann hätte die Evi niemals etwas erzählt, wenn sie ganz nüchtern gewesen wäre.
Die Evi leerte ihr Stamperl. „Und dann hat er einmal die Natalie gesehen, ich blöde Gans hab sie noch ewig sekkiert, dass sie mir beim Putzen helfen soll. Und das auch nur, weil sie immer gejammert hat, dass sie kein Geld hat und dass sie einen Job braucht. Nur, immer wenn ihr dann klar geworden ist, dass man bei einem Job
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