Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi
sich jetzt schnell entscheiden: Schuh gleich wieder an oder Socken aus und auswinden. Als ihn der Blick der Frau Doktor Kohlross traf, fühlte er sich gleich wieder eingeschüchtert und peinlich berührt, sodass er schnell seinen Schuh wieder über den nassen Socken zog und eine Masche band.
Mittlerweile hatte sich der Kahlß Friedrich neben seine Schwägerin gestellt und den Arm um ihre Schultern gelegt. Die Frau Doktor trat zu Gasperlmaier, während der Doktor Kapaun auf sie einredete: „Kennen Sie den, Frau Doktor? Treffen sich zwei Pathologen. Sagt der eine, du, gestern hab ich eine Frau seziert …“ Ein Blick von einer solchen Schärfe traf den Unglücklichen, wie ihn Gasperlmaier selbst bei der Frau Doktor noch nicht gesehen hatte. „Bevor Sie eine Peinlichkeit begehen, Herr Doktor“, unterbrach sie ihn, „sagen Sie mir lieber, ob Sie noch irgendwelche Informationen für mich haben und wann ich mit einem ersten Bericht rechnen kann.“ Doktor Kapaun aber schien ihr nicht zugehört zu haben und fuhr ungerührt und mit beiden Händen seine Ausführungen unterstreichend fort: „… die hatte solche Brüste …“
Gasperlmaier sah das Gewitter kommen, so gut kannte er die Frau Doktor schon, und zog instinktiv den Kopf ein. Dem Doktor Kapaun blieb das nächste Wort im Hals stecken, als ihn die Frau Doktor anfauchte: „Halten Sie jetzt endlich ihr Schandmaul, Sie Sexist!“
Gasperlmaier schwankte zwischen mehreren Gefühlsebenen. Wie ihm die Frau Doktor gefiel, wenn sie wütend war! Und wie unangemessen es doch war, dass er sich ständig und unverschämt genau für ihr Gesicht, ihre Launen und nicht zuletzt ihre Beine und ihren Ausschnitt interessierte. Auf keinen Fall wollte er, dass sie so über ihn dachte wie über den unglücklichen Doktor Kapaun, der jetzt ein Rückzugsgefecht lieferte. Kopfschüttelnd machte er sich auf den Weg zu seinem Auto. „Sie werden’s auch noch billiger geben, Frau Doktor! Fremdeinwirkung ist jedenfalls wahrscheinlich. Sie wird sich nicht selber ein Ruder über den Schädel gezogen haben! Bericht morgen!“ Und schon war er weg.
„Was für ein unmöglicher Mensch. Nicht zu fassen, mit wem man sich alles abgeben muss. Und so etwas will Mediziner sein!“ Immer noch entrüstet, hatte die Frau Doktor Kohlross die Arme in die Seiten gestemmt.
„Da drüben steht die Evi“, versuchte Gasperlmaier abzulenken, „die Schwägerin vom Kahlß. Sie hat beim Doktor Naglreiter geputzt.“ Gasperlmaier nahm die Frau Doktor am Oberarm, um sie zur Evi zu führen, die weiterhin vor sich hin rotzte und heulte. Im selben Moment durchfuhr ihn der Gedanke, dass er schon wieder einen Fehler gemacht hatte: Die Frau Doktor konnte ungeleitet und selbstständig zur Evi hinfinden. Vor lauter Schreck wagte Gasperlmaier nicht mehr loszulassen und packte ein wenig fester zu. Ganz gegen seine Erwartungen ließ sich die Frau Doktor willig zur Evi führen, der der Friedrich gerade umständlich ein neues Taschentuch aus einer Packung zog. Seine Finger waren für eine feinmotorisch so anspruchsvolle Tätigkeit einfach nicht geeignet.
„Sie können jetzt loslassen“, sagte die Frau Doktor mit einem amüsierten Zwinkern, als Gasperlmaier keine Anstalten dazu machte, obwohl sie der Evi und dem Kahlß Friedrich gegenüberstanden. Gasperlmaier, wie elektrisiert, gehorchte. Fast schien es ihm, als könne er in Gegenwart dieser Frau gar nichts mehr richtig machen. Gedanken an Hexen, die er sich sofort und vollständig selbst verbat, geisterten durch seinen Kopf. Obwohl, dachte er bei sich, die Haare und die Augen und die Gesamtausstrahlung? Jedenfalls, dachte Gasperlmaier, musste er höllisch aufpassen, dass sie nicht zumindest ihn verhexte.
„Das ist die Evi“, schnaufte der Kahlß Friedrich und wies mit seinem dicken Zeigefinger auf die verheulte Gestalt – natürlich im Ausseer Dirndl.
„Guten Tag.“ Die Frau Doktor streckte ihr die Hand hin. „Frau …?“
„Kitzer heiß ich, Eva Kitzer. Entschuldigen S’ …“ Und schon flossen wieder die Tränen. Gasperlmaier fragte sich, ob das Verhältnis zwischen den Naglreiters und der Evi wirklich so innig gewesen sein konnte, dass sie jetzt ein solches Theater machen musste, aber dann erinnerte er sich daran, dass die Evi auch bei jeder Hochzeit, bei jeder Taufe und schon gar bei jeder Beerdigung gleich nach dem Beginn der Zeremonie zu schniefen begann und darin eine nahezu unschlagbare Ausdauer bewies.
„Frau Kitzer“, begann die Frau Doktor
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