Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi
dargestellt gewesen.
Die Christine war es gewesen, die mit dem damals blutjungen Gendarmen immer wieder Gespräche angefangen hatte, wenn sie einander zufällig in einem Wirtshaus begegnet waren. Schließlich hatte sie den unbeholfenen Gasperlmaier sogar höchstselbst und eigenhändig verführt, und schließlich hatte er sich rettungslos in die weder unauffällige noch angepasste junge Frau verliebt.
„Warum gerade ich?“, hatte er sie später manchmal gefragt, weil er sich einfach nicht erklären konnte, warum eine Frau wie die Christine sich ausgerechnet einen Altausseer Gendarmen ohne weiten Horizont, große Erfahrung oder reichhaltige Bildung ausgesucht hatte. „Weil du berechenbar warst, mein Lieber!“, hatte die Christine geantwortet. „Ich hab gleich gewusst, das ist einer, auf den man sich verlassen kann, der bei dir bleibt, der nicht sein ganzes Geld im Wirtshaus lässt, der sein Geld heimbringt und es nicht für teure Motorräder oder Autos verplempert.“ Sie sei sich auch sicher gewesen, hatte sie damals gemeint, dass der Gasperlmaier einer wäre, der nicht vor lauter Feuerwehr und Fußballverein und Bergrettung und Skiclub die Familie ganz aus den Augen verliert. Und so, dachte Gasperlmeier, war es ja auch schließlich gekommen, sonst wäre die Christine ja schließlich nicht mehr bei ihm. Dennoch hatte er manchmal Angst, dass sie sich einen interessanteren Menschen finden würde, die Sorge, dass er ihren Ansprüchen nicht gerecht wurde, vor allem in geistiger Hinsicht, nagte doch ein wenig an ihm, denn gelegentlich schwärmte sie ihm von Künstlern vor, die nicht ungern zu Lesungen und Vernissagen ins Ausseerland kamen, ihre langen Haare hinter die Ohren strichen und mit sanfter Stimme Sätze mit vielen Fremdwörtern von sich gaben.
Die Christine hatte schließlich vieles erlebt in ihrer Studentenzeit, sie hatte sogar in einer Wohngemeinschaft gewohnt.
Einmal hatte sie Gasperlmaier erzählt, was ihre Oma vom Wohnen in der WG gehalten hatte. Für gänzlich verrottet, verloren und verworfen hatte die Großmutter sie damals gehalten und sogar damit gedroht, sich aufzuhängen, falls die Christine tatsächlich in eine Kommune ziehen würde, wie sie das nannte. Fragte Gasperlmaier nach, wie das denn gewesen sei in der WG , setzte die Christine nur ein verschmitztes Lächeln auf, sagte, dass er das gar nicht wissen wolle, und behielt seit mehr als zwanzig Jahren bei sich, welch wildes Leben sie damals am Ende geführt haben mochte. Gasperlmaier wollte es sich gar nicht ausmalen, aber einiges konnte er sich vorstellen, nachdem ihm die Christine beigebracht hatte, was für Möglichkeiten es gab, im Schlafzimmer tiefer gehenden Empfindungen Ausdruck zu verleihen. Gasperlmaiers Erfahrung war dagegen mehr als beschränkt gewesen, genau genommen vor der Christine inexistent, und Gasperlmaier hatte es den Gleichaltrigen, die Mädchen einfach ansprachen, sie zum Lachen brachten und dann gewöhnlich mit ihnen in der Dunkelheit verschwanden, nie gleichtun können. Die Christine hatte, so sah Gasperlmaier das, ihn vor andauernder Einsamkeit gerettet, und mehr noch als Liebe zu ihr empfand er eine überwältigende Dankbarkeit für das, was sie aus ihm und mit ihm gemacht hatte.
Sorgfältig kratzte Gasperlmaier die letzten Reste auf seinem Teller zusammen und schob sie auf die Gabel, um den Zeitpunkt hinauszuschieben, zu dem das Gespräch beginnen musste, vor dem er sich recht fürchtete. Wie würde die Christine reagieren, wenn er ihr von seiner grauenhaft gedankenlosen Leichenverbringung und gar erst von der im Bierzelt vorgebrachten Anschuldigung erzählte?
Gasperlmaier kam jedoch gar nicht dazu, ein kompliziertes Gespräch beginnen zu müssen. „So, und jetzt erzählst du mir, was los ist.“ Die Christine war zu ihm auf die Bank gerückt und hatte ihren Arm hinter seinem Rücken durchgeschoben. Gasperlmaier verschluckte sich fast am letzten Rest seines Leichtbiers, den er noch im Mund hatte. Die Christine hatte ihn immer schon schnell und vollkommen durchschaut, wie sie das machte, war ihm ein Rätsel. „Du brauchst dich gar nicht zu wundern“, legte sie nach, „erstens hast du nicht jeden Tag mit Mord und Totschlag zu tun, dazu eine Mordsfahne und außerdem noch eine schicke Kommissarin, die man dir vor die Nase gesetzt hat. Da kommt was zusammen.“ Gasperlmaier fühlte sich ausgezogen, gehäutet, völlig nackt und bloß lagen seine innersten Regungen vor der Christine, ohne dass er überhaupt den
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