Letzter Mann im Turm - Roman
als Subunternehmer für ein Bauprojekt in der Mira Road und stellte bald fest, dass er, auch wenn er Zement und Stahl mochte, Menschen noch viel lieber mochte. Der Mensch war der Lehm, den er formen konnte. Zunächst einmal die armen Leute. Er wandte sich dem «Sanierungsgeschäft» von Chawls und Slums zu – zahlte Mietern alter Bauten Abfindungen, sodass dort Wolkenkratzer und Einkaufszentren entstehen konnten; eine Aufgabe, die in gleichem Maß Brutalität und Charme erforderteund die sich für die meisten Bauherren als zu heikel erwies – aber eine, die er mit den aus seinen Schmugglerjahren gewonnenen Fähigkeiten bewältigte; er verbündete sich mit Politikern, Polizisten und Gangstern, um Menschen mit Geld aus ihrem Zuhause zu locken oder sie auf die Straße zu setzen. Mit seinem Gefühl für Fairness zog er (im Gegensatz zu vielen anderen in seinem Gewerbe) Großzügigkeit der Gewalt vor und erwarb sich den Ruf eines Mannes, der anderen Männern zu Reichtum verhalf. Ein Mann, der es stets vorzog, einen störrischen Mieter mit einem Scheck aus dem Gebäude zu locken, statt ihn zu bedrohen, und so lange zu warten, bis es keine andere Möglichkeit mehr gab, als Shanmugham anzuweisen, Nägel mit Köpfen zu machen (wie dies beim letzten Sanierungsprojekt in Sion der Fall gewesen war) – einen Mann zu packen, ihn bis zu den Schultern aus dem Fenster zu stoßen und durchblicken zu lassen, dass der Rest in drei Sekunden folgen würde, es sei denn, seine Unterschrift tauchte an der richtigen Stelle auf. (Was dann auch geschah.)
Rosie fütterte erneut den Toaster. Shah hörte das Klicken des Geräts und war ihr dankbar, die sie Toasts und blumiges Parfum in sein Leben brachte, dieses pummelige Mädchen aus der Provinz –
den ganzen Weg aus Ranchi nach Bombay, war das zu glauben?
Er leckte sich die Finger ab und wartete auf noch mehr Brot. Wie wenig es im Leben braucht, um glücklich zu sein: ein weiches, weißes Bett, gebutterten Toast und füllige junge Frauen, drei Genüsse, die im Grunde austauschbar sind.
In der Dusche floss das heiße Wasser durch vergoldete Armaturen; er stand auf grünem Marmor und spürte die Wärme auf seiner Kopfhaut.
Vor fünf Jahren war seine Frau gestorben. Nach einem Jahr, in dem er allein geblieben war, hatte er angefangen, mit Frauen in Hotelzimmer zu gehen. Dann hatte er sich sein eigenes Hotel hier eingerichtet, im siebten Stock des Versova-Gebäudes. Daunenkissen, weiße, kochfeste Allergikerbettwäsche, Lampen, die angingen,wenn man in die Hände klatschte, sodass man sich nicht einmal aus dem Bett rühren musste. Die Wohnung in Malabar Hill war dank Giris Verschrobenheit unordentlicher, und sie war sein Zuhause. Dieser Ort mit Meerblick war ein üppig weiches Sündenbabel.
«Wie sieht deine Spucke heute aus, Onkel?», brüllte Rosie zum Badezimmer hinüber. Eine Rolle, die jede Geliebte früher oder später übernahm – die der Ersatzmutter.
«Klar, Rosie.»
Er hustete und spuckte, stippte dann den Finger in die Spucke und inspizierte sie. Vergangenen Dezember war sie viel dunkler und manchmal rotgefleckt gewesen.
«Lüg mich nicht an, Onkel. Ich höre deinen Husten. Klingt wie der Donner, den sie in Filmen verwenden.»
«Wenn
ich
den menschlichen Körper entworfen hätte, hätte ich es viel besser hingekriegt. Die verwendeten Materialien sind nicht die allerbesten. An allen Ecken und Enden ist gespart worden. Das Gebäude stürzt viel zu schnell ein.» Er lachte. «Aber mir geht’s gut, Rosie. Dank Siddhi Vinayaks Gnade geht es mir gut.»
Dank Siddhi Vinayaks Gnade. Rosie wusste genau, was er meinte.
Dank meiner eigenen Gnade.
Wie ein Filmproduzent, der, nachdem man ihm den Schwanz gelutscht hat, sagt: «Mit Gottes Gnade bekommst du eine kleine Rolle im Film.»
Sie seufzte und räumte die fettverschmierten Teller vom Tisch.
Sechs Monate zuvor hatte Shah in einem Restaurant auf das bestellte Chow Mein gewartet, das seine damalige Geliebte Nannu von ihm persönlich gebracht haben wollte; sie war gerade in einer ihrer hysterischen Stimmungen. Das hübsche Mädchen im ärmellosen T-Shirt hatte ihm zugelächelt, war einfach auf ihn zugegangen und hatte die Hand ausgestreckt. «Ich heiße Rosie. Und du?» Er hatte sofort gewusst, welches Angebot ihm da gemacht wurde. Dies war schließlich Versova. «Danke.» Er hatte gelächelt und war gegangen. Nannu war hellhäutiger.
Am nächsten Morgen las er – eine dieser Kleinigkeiten, die das Leben so großartig machten –
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