Letzter Mann im Turm - Roman
beim Aufschlagen der Zeitung: «Aufstrebendes Model in Oshiwara Fitnessstudio verhaftet. Wird beschuldigt, aus Schließfächern in der Frauenumkleide gestohlen zu haben.» Er las den Namen des Mädchens: «Rosie.» Eine Herausforderung an seine Willenskraft. Er hatte alle Termine an diesem Morgen abgesagt, war zum Fitnessstudio nach Oshiwara gefahren, hatte die Sache mit dem Studiobesitzer mit Geld geregelt, war zur Polizeiwache gegangen, hatte sie rausgeholt und nach einem langen Blick beschlossen – ihre Schultern, ihr Haar sahen selbst nach einem Tag in Haft noch top aus –: «Sie ist ok». Nannu hatte drei Tage Zeit, diese Wohnung zu räumen, danach brachte er Rosie hierher und sagte ihr, sie könne weiterhin das tun, weswegen sie nach Bombay gekommen sei: ihr Glück beim Film zu versuchen. Gelegenheitsprostitution war nicht nötig, solange sie bei ihm lebte; sie musste lediglich einen Dauerfreier und die Erniedrigung ertragen. Ein- oder zweimal die Woche ging sie am Morgen wegen einer klitzekleinen Rolle in einem neuen Filmprojekt zu einem Produzenten; manchmal wurde ihre Hoffnung auf Erfolg bestärkt, ein anderes Mal sorgte sie sich wegen des Älterwerdens, hatte das Gefühl, sie würde es nie schaffen, und bat um «Hilfe» bei der Einrichtung eines eigenen Friseursalons, die Shah ihr auch versprach. Und die sie bei Beendigung ihrer Beziehung auch bekommen würde. Aber bis dahin, würde sie, wenn sie irgendjemandem schöne Augen machte, mit dem Kopf voran in den Indischen Ozean geworfen werden.
Als er aus der Dusche stieg, sang sie Lieder in einer fremden Sprache.
«Oper», rief sie als Antwort auf seine Frage. Der neueste Schrei in Bollywood waren momentan italienische Opern, und sie versuchte sich an diversen Liedzeilen. Sie wurden «Arien» genannt.
«Arrije», sagte er und trocknete sich das Haar mit einem weichen weißen Handtuch. «Ist das die richtige Aussprache?»
«Aa-rie, Onkel. Sprich doch nicht wie eine Dorfziege aus Gujarat.»
«Haha. Aber ich bin eine Dorfziege aus Gujarat, Rosie.»
Noch so eine ihrer Launen, und er genoss sie alle. «Nimm ein Zimmer mit Meerblick, und eine Wand bietet dir stets eine neue Aussicht», hieß es in der Immobilienbranche. Nimm eine kapriziöse Frau, und du hast ein Dutzend Frauen. Er mochte den Geruch der Pear’s Seife auf seiner Haut, er wollte Rosie in den Armen halten.
«Stell mich doch mal Satish vor, Onkel. Ich bin in seinem Alter, ich kann mit ihm reden, wenn er in Schwierigkeiten ist», sagte sie, als er neben ihr auftauchte; er rubbelte sich noch immer das Haar trocken.
«Ich zeige dir ein Modell des Shanghai, Rosie. Es ist so schön, du musst es dir anschauen. Neogotischer, italienischer, indischer Stil, Jugendstil, alles in einem Haus. Meine ganze Lebensgeschichte steckt da drin.»
«Stell mich doch mal Satish vor, Onkel.»
Er beugte sich vor und rubbelte kräftiger, sodass die Nässe aus seinen Haaren auf ihr Gesicht spritzte.
«Ich bin nicht deine Prostituierte! Ich bin nicht dein Eigentum. Ich scheiß auf dein Geld!»
Mit hängendem Kopf, um den er das Handtuch geschlungen hatte, hörte er Füße trampeln und eine Tür schlagen. Er fuhr fort, sich das Haar zu trocknen, und fragte den Fußboden (dunkelgrüne Fliesen mit weißen Sprenkeln, ein Lieblingsmuster, das sich in all seinen Gebäuden fand): Warum tut eine Frau, die sich darum sorgt, dass du nicht mehr ganz so an ihr interessiert bist, Dinge, die dein Interesse nur noch mehr schwinden lassen?
Shah saß auf seinem Stuhl, betrachtete sein Meer und summte sein Lieblingslied von Kishore Kumar.
Aa chal ke tujhe, mein …
Er lehnte sich zurück und drückte mit einem Finger auf das Bett, fühlte die Allergikerbettwäsche, die hochwertige Federkernmatratze –er nahm den Finger weg, und seine Willenskraft war federnd aufgeladen.
Der Weg zu einem neuen Gebäude in Mumbai lag voller glitzernder kleiner Steine – Polizei, Prozesse, Gier –, und er würde jedes Gramm seines Körperfetts benötigen, um diese Steine zu zermalmen, einen nach dem anderen. Gleich einem religiösen Ritual musste er vor jedem neuen Bauprojekt in diese Wohnung kommen, zu dem Mädchen, mit dem er momentan zusammen war, ob Nannu oder Smita oder Rosie, um sein Parfum einzuatmen, Toast zu essen, das Meer zu betrachten und die vergoldeten Armaturen im Badezimmer zu berühren. Luxus verstärkte stets seine Gewaltbereitschaft.
Er klopfte an ihre Tür. «Ich zähle bis fünf, Rosie.»
«Nein. Ich komme nie wieder raus. Du
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