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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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keine Ahnung von Computern oder vom Internet, Vittal. Ich habe nicht einmal ein Handy.»
    «Oh, das ist aber radikal, Masterji», sagte der Bibliothekar. Er zog einen glänzenden roten Gegenstand aus seiner Tasche und lächelte stolz. «Nokia.»
    Masterji blätterte weiter in der Zeitung.
    «Warum sollte ein Physiklehrer dieses Zeug brauchen, Vittal? Die grundlegenden Dinge verändern sich nicht: Ebbe folgt auf Flut, und die Tagundnachtgleiche bleibt die Tagundnachtgleiche.»
    Er tippte mit dem Finger auf die Zeitung und machte Vittal aufdas Vorhaben aufmerksam, dem Crawford Market zu vormaligem Glanz zu verhelfen.
    «Die Skulpturen vor dem Crawford wurden von Kiplings Vater geschaffen, Lockwood Kipling. Wussten Sie das?»
    Vittal reckte und dehnte sich.
    «Kenn mich in Mumbai nicht so aus, Masterji. Bin nicht so ein Genie wie Sie. Wenn Sie heute ein junger Mann wären, würden Sie in einer ausländischen Bank arbeiten und mit Aktien jonglieren. Gott weiß, wie viel Geld Sie scheffeln würden!»
    «Und wofür würde ich es ausgeben?» Lächelnd faltete Masterji die Zeitung zusammen. «Vittal», flüsterte er dann, «Purnimas erster Todestag steht vor der Tür. Ich möchte deshalb mit Trivedi telefonieren.»
    «Natürlich.»
    Der alte Lehrer kam hier in den Genuss einer kleinen Verschwörung; Vittal erlaubte ihm (vorausgesetzt, niemand bekam es mit), das schwarze öffentliche Telefon kostenlos zu benutzen.
    Als Masterji wählte, schlich sich ein Schüler in weiß-dunkelblauer Uniform zur Seitentür herein. Er gaffte die beiden alten Männer an, als hätte er gerade zwei Plateosaurier entdeckt.
    Masterji ging mit gesenktem Kopf über den Markt, roch Zitronen und Äpfel, frischen Kot (der Hühner und Hähne in ihren Körben), rohe Karotten und Blumenkohl.
    «He, berühmter Mann! Schauen Sie hierher!»
    Unter dem Banyanbaum, in dessen Schatten die Marktgeschäfte abgewickelt wurden, winkte ein Verkäufer hinter einem Stand voller Zwiebeln Masterji zu.
    Rundlich, mit Knollennase und Beulen auf der dunklen Stirn, sah er wie eine menschenförmige Werbung für seine Ware aus.
    «Ich kenne Sie schon seit langer, langer Zeit vom Sehen.» Der Zwiebelverkäufer fand einen kleinen roten Hocker und stellte ihn Masterji hin. «Aber bis jetzt wusste ich nicht, dass Sie ein bedeutender Mann sind. Ihr in Vishram seid alle was Besonderes.Der Confidence-Konzern hat euch nicht ohne Grund ausgewählt.»
    Obst- und Gemüsehändler scharten sich um den roten Hocker, beäugten den darauf Sitzenden voller Erstaunen, als wäre er vom Blitz getroffen worden und hätte überlebt.
    «Meine Größe, wenn es diese überhaupt gibt, hat nur mit meinen Schülern zu tun», erklärte Masterji.
    Er zeigte auf die alten Zeitungen, die der Zwiebelverkäufer auf seinem Karren gestapelt hatte, um seine Waren damit einzuwickeln.
    «Ihr werdet in der
Times
einen Artikel von einem Mann namens Noronha finden. Mein Schüler. O nein, ich rechne mir das nicht als Verdienst an. Ein kluger Junge, Noronha, hat so fleißig gelernt, ist jeden Tag von Kalina zur Schule gelaufen. In der guten alten Zeit pflegten die Jungen fleißig zu lernen. Die guten alten Zeiten, was ist bloß aus ihnen geworden …»
    Einer der Händler, ein großer dunkelhäutiger Mann, dessen feistes Gesicht mit weißen Bartstoppeln gesprenkelt war, wandte sich an den Zwiebelverkäufer und fragte laut: «Ram Niwas, da fragt ein Mann nach ‹der guten alten Zeit›. Hast du sie im Angebot? Ich nämlich nicht. Ich verkaufe nur Kartoffeln.»
    Und er lachte über seinen eigenen Witz, ehe er zu seinen Kartoffeln zurückkehrte.
    Eine Hupe schallte über den Markt. Ein Mann auf einem Roller winkte Masterji zu. «Meine Frau hat mir gesagt, dass Sie angerufen haben. Ich bin sofort losgefahren, um nach Ihnen zu suchen.»
    Jeder in Vakola war mit Shankar Trivedis athletischem, hemdlosem Oberkörper vertraut; um die Schultern hatte er ein weißes Tuch geschlungen. Ständig fuhr er mit großer Geste auf seinem roten Honda-Roller vor Gebäuden vor oder brauste wieder davon, wie ein Engel, der Tod oder Leben brachte. Purnima hatte ihn damit betraut, jedes Jahr den Gedenkgottesdienst für ihre Tochter Sandhya zu zelebrieren; ein Gottesdienst, an dem Masterji seiner Frau zuliebe immer teilgenommen hatte. Als Purnima starb, hatteTrivedi mit Kokosnüssen und Weihrauch in einem Tempel in Bandra das Abschiedsritual abgehalten.
    Er zog den alten Lehrer von den Händlern fort, während er ihm in einem fort die Hand

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