Letzter Tanz - Lincoln Rhyme 02
sicher.« »Jodie«, wiederholte Cats und wischte sich dabei seine Stirn ab.
»Muß ihn suchen. Mann, ich brauch was. Bin krank, Mann. Ihr verdammten Arschlöcher, ich bin krank.«
Nachdem Cats unter lautem Stöhnen und Fluchen mit seinem Sack Dosen im Schlepptau davongewankt war, kehrten Leon und Bärenmann wieder an ihre Ecke zurück und setzten sich hin. Leon öffnete eine Flasche Voodoo Ale, und sie begannen zu trinken.
»Hätten das diesem Kerl nich antun sollen«, sagte Leon.
»Wem?«
»Joe oder wie er hieß.«
»Willst du diesen Scheißer etwa hier in der Gegend haben?«
fragte Bärenmann. »Der ist gefährlich. Hat mir angst gemacht.
Willste so einen hier rumhängen haben?« »Nee, natürlich nich, Mann. Aber du weißt schon.« »Yeah, aber...«
»Du weißt, Mann.«
»Ja, ich weiß schon. Gib die Flasche rüber.«
25. Stunde von 45
Stephen saß neben Jodie auf der Matratze und hörte über seine Funkwanze die Gespräche aus dem Hudson-Air-Büro mit.
Er belauschte gerade Rons Leitung. Talbot hieß er mit Nachnamen, wie Stephen inzwischen erfahren hatte. Er wußte nicht genau, welche Funktion dieser Ron hatte, aber er war offensichtlich so eine Art Manager der Charterfirma, und Stephen vermutete, daß er über seine Leitung die meisten Informationen über die Ehefrau und den Freund bekommen würde.
Der Mann stritt gerade mit jemandem, der Ersatzteile für Gar-rett-Turbinen verkaufte. Weil Sonntag war, gab es Schwierigkeiten, die letzten erforderlichen Teile für die Reparatur zu bekommen -einen Feuerlöscher für das Triebwerk und etwas, das sich Ringbrennkammer nannte.
»Sie haben es uns für heute 15:00 Uhr versprochen«, beschwerte sich Ron. »Und ich will es bis 15:00 Uhr haben.«
Nach einigem Hin und Her versprach die Firma, die Teile von Boston aus zu ihrer Vertretung nach Connecticut zu fliegen. Von dort würde ein Lkw sie zu Hudson Air bringen, spätestens bis 15 oder 16 Uhr. Das Gespräch wurde beendet.
Stephen blieb noch ein paar Minuten in der Leitung, aber es gab keine weiteren Telefonate. Er schaltete das Gerät frustriert aus.
Er hatte nicht die geringste Ahnung, wo die Ehefrau und der Freund steckten. Waren sie noch immer in dem sicheren Haus? Oder hatte man sie woanders hingebracht?
Was plante dieser Wurm von Lincoln als nächstes? Wie clever
war er wirklich?
Und wer war er? Stephen überlegte, wie er wohl aussah. Versuchte, ihn sich als Ziel in seinem Redfield-Teleskop vorzustellen. Es gelang ihm nicht. Alles, was er sah, war ein großer Haufen Würmer und ein Gesicht, das ihn gelassen durch ein verschmiertes Fenster beobachtete.
Er bemerkte, daß Jodie etwas zu ihm gesagt hatte.
»Was?«
»Wie hieß er? Dein Stiefvater?«
»Lou.«
»Was für 'n Job hatte er?«
»Meistens so Gelegenheitsjobs. Er jagte und fischte viel. Er war
ein Held in Vietnam. Ging hinter die Frontlinien und tötete vierundfünfzig von denen. Die Leute finden so was toll, vor allem Politiker.«
»Er hat dir wohl alles beigebracht für deinen... Beruf?« Die Wir
kung der Drogen hatte nachgelassen, und Jodies Augen waren nun klarer. »Die meiste Erfahrung habe ich in Afrika und Südamerika ge
sammelt, aber er hat mich angelernt. Hab ihn immer WGS genannt -weit-größter Soldat. Fand er lustig.«
Im Alter von acht, neun und zehn Jahren war Stephen oft hinter seinem Stiefvater durch die Hügel Westvirginias getrottet. Heiße Schweißtropfen perlten ihnen die Nase herunter. Die Krümmung ihrer Zeigefinger, die um den Abzug ihrer Winchester oder Ruger lagen, war schweißnaß. Oft lauerten sie stundenlang schweigend im Gras, ohne sich zu rühren. Lous kurzgeschorener Nacken glänzte feucht, seine Augen waren weit geöffnet und fixierten ihr Ziel.
Zwinkere ja nicht mit dem linken Auge, Soldat.
Sir, niemals, Sir.
Eichhörnchen, Truthähne und in der Saison Hirsche - manchmal
natürlich auch außerhalb der Saison -und wenn sie welche aufspüren konnten, Bären. An schlechteren Tagen wurden es auch mal Hunde.
»Mach sie tot, Soldat. Schau mir zu!« Kra-wumm. Der Rückstoß gegen die Schulter. Die erstaunten Augen des sterbenden Tiers.
Oder diese schwülen Sonntage im August, wenn sie die CO2Farbpatronen in ihre Gewehre luden, sich bis auf die Unterhosen auszogen und Jagd aufeinander machten. Die murmelgroßen Kugeln, die mit einer Geschwindigkeit von hundert Metern pro Sekunde durch die Luft pfiffen, hinterließen auf ihren Oberkörpern und Schenkeln Platzwunden und Striemen. Der kleine
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