Letzter Tanz - Lincoln Rhyme 02
konnte sie durchschauen. Mit ihm geht das nicht.«
»Was möchtest du, daß ich tue?« fragte Jodie und neigte sich dabei gegen Stephen, so daß sich ihre Schultern berührten.
Stephen Kall, der kunstfertige Profi, der Stiefsohn des Mannes, der nie einen Augenblick gezögert hatte - weder wenn er Wild jagte noch wenn er Teller inspizierte, die mit einer Zahnbürste gereinigt worden waren -, war nun verwirrt. Er starrte zu Boden, dann in Jodies Augen.
Die Hand am Rücken des anderen Mannes. Ihre Schultern berührten sich.
Stephen faßte einen Entschluß.
Er beugte sich vor und wühlte in seinem Rucksack. Er förderte ein schwarzes Mobiltelefon zutage, blickte es eine Weile an und reichte es dann Jodie.
»Was ist denn das?« fragte der Mann.
»Ein Telefon. Für dich.«
»Ein Handy! Cool!« Er starrte es an, als hätte er noch nie zuvor eines gesehen, klappte es auf und studierte die Tasten.
Stephen fragte ihn: »Weißt du, was ein Aufklärer ist?«
»Nein.«
»Die besten Schützen arbeiten nicht allein. Sie haben immer einen Aufklärer dabei. Er lokalisiert das Ziel, findet heraus, wie weit es weg ist, stellt fest, ob es eine Bewachung gibt und so weiter.«
»Du willst, daß ich das für dich mache?«
»Yeah. Weißt du, ich denke, daß Lincoln sie rausbringen wird.«
»Wie kommst du darauf?« fragte Jodie.
»Ich kann es nicht erklären. Ich hab nur so ein Gefühl.« Er schaute auf seine Uhr. »Okay. Ich habe einen Plan. Ich möchte, daß du um
13.30 Uhr die Straße hinuntergehst wie ein... Obdachloser.« »Du kannst ruhig >Penner< sagen, wenn du willst.« »Du beobachtest das sichere Haus. Vielleicht stöberst du in
Müllcontainern rum oder so was.«
»Nach Pfandflaschen suchen. Das mache ich sonst auch immer die ganze Zeit.«
»Finde heraus, in welchen Wagen sie steigen, und dann rufst du mich an. Ich bin in der Nähe, warte um die Ecke in einem Auto. Aber du mußt darauf achten, daß du nicht auf ein Ablenkungsmanöver reinfällst.«
Die rothaarige Polizistin fiel ihm ein. Sie wäre als Ersatz für die Ehefrau sicher nicht geeignet. Zu groß, zu hübsch. Er fragte sich, warum er eine so starke Abneigung gegen sie empfand... Er bedauerte, daß er sich bei dem Schuß auf sie so verkalkuliert hatte.
»Okay, wird gemacht. Wirst du sie auf der Straße erschießen?«
»Es kommt darauf an. Vielleicht folge ich ihnen auch zu dem neuen sicheren Haus und erledige sie dort. Ich muß einfach improvisieren.«
Jodie bestaunte das Mobiltelefon wie ein Kind sein Weihnachtsgeschenk. »Ich weiß nicht, wie man so was bedient.« Stephen zeigte es ihm. »Ruf mich an, sobald du auf dem Posten bist.«
»Auf dem Posten. Das klingt richtig professionell.« Jodie schaute vom Telefon auf. »Weißt du, wenn das hier alles vorbei ist, gehe ich in so ein Reha-Zentrum, und danach könnten wir uns ja vielleicht mal treffen. Wir könnten einen Saft oder einen Kaffee trinken gehen. Na, was meinst du?«
»Klar«, antwortete Stephen. »Wir könnten...«
Plötzlich erschütterte ein lautes Donnern die Tür. Stephen wirbelte wie ein Derwisch herum, riß die Pistole aus dem Halfter und warf sich in Zweihand-Schießposition auf den Boden.
»Mach die verfluchte Tür auf«, rief eine laute Stimme von draußen. »Sofort!«
»Ruhig«, flüsterte Stephen Jodie zu. Sein Herz raste.
»Bist du da drin, du Schleimscheißer«, ertönte die Stimme wieder, »Jo-die? Wo, zum Teufel, steckst du?«
Stephen schlich zu dem verrammelten Fenster und spähte nach draußen. Es war der schwarze Penner von der anderen Straßen-seite. Er trug eine abgewetzte Jacke mit der Aufschrift: Cats... das Musical. Der Schwarze konnte ihn nicht sehen.
»Wo iss der kleine Mann?« rief der Schwarze. »Ich brauch 'nen kleinen Mann. Brauch 'n paar Pillen! Jodie? Joe? Wo steckst de?«
Stephen fragte leise: »Kennst du den?«
Jodie schaute ebenfalls hinaus, zuckte dann die Achseln und meinte: »Weiß nicht. Vielleicht. Sieht aus wie die meisten Typen hier auf der Straße.«
Stephen studierte den Mann aufmerksam, dabei hielt er den Plastikgriff der Pistole fest umklammert.
Der Obdachlose rief wieder: »Ich weiß, daß du da drinnen bist, Mann.« Seine Stimme erstickte in einem ekelerregenden Hustenkrampf. »Jo-die, Jo-die! Hat mich was gekostet. Und was es mich gekostet hat. Hat mich 'ne verdammte Woche Dosensammeln gekostet. Aber sie ham's mir gesagt, daß du da drinnen bist. Alle ham's mir gesagt. Jodie, Jodie!«
»Er wird schon wieder gehen«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher