Letzter Tanz - Lincoln Rhyme 02
Spuren, die der Partner des Tänzers hinterlassen hatte.
Er schilderte sie Hoddleston: »Der Boden hat einen hohen Feuchtigkeitsgrad und enthält viel Feldspat und Quarzsand.«
»Ich erinnere mich, daß du schon immer eine Vorliebe für Dreck hattest, Lincoln.«
»Bodenproben sind nützlich«, erwiderte Rhyme und berichtete weiter: »Kaum Felsgestein, und nichts davon ist gesprengt oder behauen. Kein Kalkstein oder Manhattan-Glimmerschiefer. Also ist es wahrscheinlich eher Downtown. Und aus der Menge an alten Holzpartikeln zu schließen, vermutlich recht nah an der Canal Street.«
Nördlich der 27. Straße reicht das Felsgestein bis fast an die Oberfläche. Südlich davon besteht der Boden aus Dreck, Sand und Ton und ist sehr feucht. Als die Tunnels damals gegraben wurden, strömte ständig Wasser aus dem suppigen Erdreich rund um die Canal Street in die Schächte. Zweimal am Tag mußten alle Arbeiten eingestellt und der Tunnel abgepumpt werden. Die Wände wurden mit Brettern abgedichtet, die über die Jahre vermoderten.
Hoddleston war nicht sonderlich optimistisch. Auch wenn Rhymes Informationen halfen, das Gebiet einzugrenzen, blieben doch noch immer Dutzende Verbindungstunnel, Transferbahnsteige und ganze Sektionen von U-Bahn-Stationen, die über die Jahre geschlossen worden waren. Einige waren vollkommen in Vergessenheit geraten und von der Außenwelt ebenso hermetisch abgeschlossen wie ägyptische Grabkammern. Viele Jahre nach Alfred Beachs Tod hatten Bauarbeiter eine Wand durchbrochen und
seinen längst vergessenen Originaltunnel entdeckt. Er verfügte über einen reichgeschmückten Wartesaal mit Wandmalereien, einem Klavierflügel und einem Goldfischaquarium.
»Schläft er vielleicht einfach nachts in einer noch geöffneten Station oder zwischen zwei Haltestellen in den Aussparungen?« fragte Hoddleston.
Sellitto schüttelte den Kopf. »Paßt nicht zu seinem Profil. Er ist ein Junkie. Da hätte er zuviel Sorge um seinen Stoff.«
Rhyme berichtete Hoddleston nun von dem türkisblauen Mosaik.
»Unmöglich zu sagen, woher das stammen könnte, Lincoln. Wir haben so viele Stellen neu gefliest. Da ist überall Kachelstaub und Mörtel. Keine Ahnung, wo er das aufgesammelt hat.«
»Also, nenn mir eine Zahl, Chef«, forderte Rhyme ihn auf. »Von wie vielen möglichen Stellen reden wir hier?«
»Ich schätze, etwa zwanzig«, dröhnte Hoddlestons kräftige Stimme. »Vielleicht auch ein paar weniger.«
»O verflucht«, stöhnte Rhyme. »Okay, fax uns eine Liste mit den wahrscheinlichsten rüber.«
»Klar. Wann brauchst du sie?« Aber noch bevor Rhyme antworten konnte, hatte Hoddleston begriffen. »Vergiß die Frage, Lincoln. Ich hätte es ja eigentlich von früher noch wissen müssen. Du hättest sie am liebsten gestern.«
»Letzte Woche«, scherzte Rhyme, der nur mühsam seine Ungeduld darüber verbergen konnte, daß der Polizeichef lieber noch plaudern wollte, statt sich an die Arbeit zu machen.
Fünf Minuten später sprang das Faxgerät an. Thom legte das Blatt vor Rhyme auf den Tisch. Es listete fünfzehn mögliche Stellen im U-Bahn-System auf. »Okay, Sachs. Machen Sie sich auf den Weg.«
Sie nickte kurz, während Sellitto Haumann und Dellray anrief, damit sie die Suchteams losschickten.
Rhyme rief Sachs eindringlich nach: »Amelia! Sie halten sich diesmal im Hintergrund, okay? Sie sind für die Spurensicherung zuständig. Nur für die Spurensicherung.«
An einer Straßenecke in Downtown Manhattan kauerte Leon, der Trickser. Neben ihm saß der Bärenmann -er verdankte seinen Namen dem Einkaufswagen mit Stofftieren, den er stets vor sich herschob. Angeblich waren sie zum Verkauf bestimmt, doch selbst die verrücktesten Eltern hätten ihrem Kind keines seiner verdreckten, verlausten Kuscheltiere gekauft. Leon und der Bärenmann lebten zusammen -das bedeutete, daß sie sich eine Gasse in der Nähe von Chinatown teilten - und schlugen sich mit den Einkünften aus aufgesammelten Pfandflaschen, Almosen und kleineren
Diebstählen durch.
»Er krepiert, Mann«, murmelte Leon.
»Nee, iss nur ein schlechter Traum. Sonst nichts«, antwortete Bärenmann und schaukelte dabei seinen Einkaufswagen, als wollte er seine Stofftiere in den Schlaf wiegen.
»Sollten zwei Münzen fürs Telefon springen lassen und einen Krankenwagen herbestellen.«
Leon und der Bärenmann starrten über die Straße hinweg in eine Gasse. Dort lag ein weiterer Obdachloser, ein Schwarzer, der ziemlich krank aussah. Sein verschlagenes -im
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