Letzter Tanz - Lincoln Rhyme 02
sind sehr an unserem Zünder interessiert und hoffen, daß wir ihn für ihre Sammlung zur Verfügung stellen.«
»O ja, das ist im Augenblick unser größtes Interesse«, grummelte Rhyme.
Plötzlich hatte er einen Krampf in der Schulter und mußte sich ans Kopfteil des Rollstuhls zurücklehnen. Er atmete mehrere Minuten tief durch, bis die schier unerträglichen Schmerzen abklangen und schließlich ganz verschwanden. Sachs, die es als einzige bemerkte, machte ein paar Schritte auf ihn zu, aber Rhyme wehrte sie mit einem kurzen Kopfschütteln ab. Er fragte: »Wie viele Kabel kannst du ausmachen, Mel?«
»Es scheinen nur zwei zu sein.«
»Mehradrig? Fiberglas?«
»Weder noch. Ganz normaler Klingeldraht.«
»Keine Parallelschaltung?«
»Nein.«
Ein weiteres Kabel als Parallelschaltung diente dazu, die Verbindung zu halten, wenn Batterie- oder Timerkabel durchschnitten werden, um die Bombe zu entschärfen. Alle hochentwickelten Bomben haben eine solche Schaltung.
»Nun«, sagte Sellitto. »Das ist doch eine gute Nachricht. Es bedeutet, daß er sorglos wird.«
Aber Rhyme vermutete genau das Gegenteil. »Glaube ich nicht, Lon. Der einzige Sinn einer Parallelschaltung liegt darin, eine Entschärfung der Bombe zu erschweren. Keine Parallelschaltung bedeutet, er war davon überzeugt, daß die Bombe nicht gefunden werden würde und genau dort explodieren würde, wo er es geplant hatte - in der Luft.«
»Dieses Ding da?« fragte Dellray und betrachtete die Bombenteile mit sichtlichem Widerwillen. »Mit welchen Leuten mußte unser Junge da wohl gut Freund sein, um so etwas zu basteln? Ich hab ein paar gute Spitzel, die etwas über die Lieferanten von Bombenteilen wissen könnten.«
Fred Dellray hatte ebenso wie Rhyme mehr über Bomben erfahren, als er je vorgehabt hatte. Sein Freund und langjähriger Partner Toby Doolittle war im Erdgeschoß des Bundeshochhauses in Oklahoma City gewesen, als die Bombe damals hochging. Er war sofort tot gewesen.
Rhyme schüttelte den Kopf. »Es ist alles ganz normales Standardzeug, Fred. Mit Ausnahme des Sprengstoffs und der Zündschnur. Und beides hat vermutlich Hansen geliefert. Zum Teufel, der Tänzer hätte wahrscheinlich alles, was er brauchte, in einem ganz normalen Elektronikladen wie Radio Shack bekommen können.«
»Wie bitte?« fragte Sachs überrascht.
»Aber ja doch«, bekräftigte Cooper. »Nicht umsonst nennen wir Radio Shack das Bomber-Paradies.«
Rhyme rollte um den Tisch herum und starrte lange auf ein Stück der Stahlummantelung, das wie zusammengeknülltes Papier aussah.
Dann ließ er sich zurückrollen und starrte an die Decke. »Aber warum hat er sie außen angebracht?« grübelte er. »Percey sagte, daß immer jede Menge Leute da waren. Und läuft der Pilot vor einem Start nicht immer um das Flugzeug herum und checkt die Räder und so?«
»Glaub schon«, sagte Sellitto.
»Warum also haben Ed Carney oder sein Copilot nichts gesehen?«
»Weil«, unterbrach Sachs plötzlich, »weil der Tänzer die Bombe erst anbringen konnte, nachdem er ganz sicher war, wer in dem Flugzeug sein würde.«
Rhyme drehte sich zu ihr um. »Das ist es, Sachs! Er war dort und hat alles beobachtet. Als er sah, daß Carney an Bord ging, wußte er, daß er zumindest eines seiner Opfer erwischen würde. Er brachte sie irgendwie an, nachdem Carney an Bord gegangen war und bevor die Maschine abhob. Sachs, Sie müssen herausfinden, wo er sich versteckt hatte, und alles absuchen. Brechen Sie sofort auf.«
»Hab ja eine ganze Stunde - nun, inzwischen eigentlich weniger«, bemerkte Sachs lakonisch, als sie das Zimmer verließ.
»Noch eines«, rief Rhyme.
Sie hielt inne.
»Der Tänzer ist ein wenig anders als alle anderen, mit denen Sie je zu tun hatten.« Wie sollte er es ihr erklären? »Bei ihm entspricht das, was Sie sehen, nicht unbedingt der Wirklichkeit.«
Sie zog eine Augenbraue hoch und meinte damit: Komm zur Sache.
»Er ist wahrscheinlich nicht dort am Flughafen. Aber falls Sie jemanden sehen sollten, der es auf Sie abgesehen zu haben scheint, nun... zögern Sie nicht, schießen Sie sofort.«
»Was?« Sie lachte.
»Kümmern Sie sich zuerst um sich selbst, dann um den Tatort.«
»Ich bin doch nur jemand, der den Tatort untersucht«, antwortete sie, während sie zur Tür hinausging. »Er wird sich nicht um mich kümmern.«
»Amelia, hören Sie...«
Aber er vernahm nur noch ihre davoneilenden Schritte. Das vertraute Thema: zuerst das dunkle Klacken auf dem Eichenparkett,
Weitere Kostenlose Bücher