Letzter Tanz - Lincoln Rhyme 02
Dellray. »Eine SAM?«
Sellitto warf einen Blick in den Bericht und sagte: »Keine Radaranzeigen, die auf eine Rakete hinweisen würden.«
Rhyme schüttelte den Kopf. »Nein, alles deutet auf eine Bombe hin.«
»Aber außen?« zweifelte Sellitto. »So was habe ich noch nie gehört.«
»Das hier erklärt es«, rief Cooper. Der Techniker, der eine Vergrößerungsbrille trug und mit einer Keramiksonde bewaffnet war, untersuchte die winzigen Metallteile so schnell wie ein Cowboy, der seine Herde zählt. »Fragmente von eisenhaltigem Metall. Magnete. An der Aluminiumhaut würden sie nicht halten, aber an manchen Stellen war Stahl darunter. Und ich habe Reste von Epoxy-Harz. Er hat die Bombe außen mit Magneten befestigt, die so lange halten sollten, bis der Kleber hart wurde.«
»Und sieh dir die Schockwellen in dem Epoxy an«, sagte Rhyme. »Der Kleber war noch nicht vollständig gehärtet. Also hat er sie erst unmittelbar vor dem Start angebracht.«
»Können wir die Marke des Epoxy-Klebers feststellen?«
»Nein, ganz normale Zusammensetzung. Wird überall verkauft.«
»Irgendeine Hoffnung auf Fingerabdrücke? Ganz ehrlich, Mel?«
Coopers Antwort bestand aus einem dünnen, skeptischen Lachen. Aber er machte sich trotzdem daran, die Fragmente mit dem Poli-Light abzusuchen. Nichts. Nur Schmauchspuren der Explosion waren zu erkennen. »Keine Chance«, sagte er schließlich.
»Ich will daran riechen«, verlangte Rhyme plötzlich.
»Daran riechen?« fragte Sachs.
»Bei dieser Sprengkraft muß es ein hochexplosiver Stoff gewesen sein. Ich will den genauen Typ herausfinden.«
Viele Bombenbauer benutzten schwachexplosive Stoffe. Substanzen, die schnell brennen, aber nur explodieren, wenn sie in einem abgegrenzten Raum wie einem Rohr oder einer Kiste untergebracht werden. Schwarzpulver war am gebräuchlichsten. Hochexplosive Stoffe wie Plastiksprengstoff oder TNT detonieren in ihrem natürlichen Zustand, müssen also nicht in ein enges Gefäß gepreßt werden. Sie waren allerdings teuer und schwer zu beschaffen. Die Art und die Herkunft eines Sprengstoffs konnten eine Menge über den Bombenbauer verraten.
Sachs brachte Rhyme eine Tüte und öffnete sie. Er sog die Luft tief ein.
Er erkannte es sofort. »RDX«, konstatierte er.
»Das würde mit der Sprengkraft übereinstimmen«, sagte Cooper. »Was meinst du? C-3 oder C-4?« Bei diesen beiden Plastiksprengstoffen war RDX der Hauptbestandteil. Es waren militärische Sprengstoffe, deren Besitz für Zivilisten verboten war.
»Kein C-4«, antwortete Rhyme, während er an dem Sprengstoff schnüffelte, als handele es sich um alten Bordeaux. »Kein süßlicher Geruch... Hhm, bin mir nicht sicher. Das ist seltsam... Ich rieche noch etwas... Probier es mit dem Gas-Chromatographen, Mel!«
Der Techniker ließ eine winzige Menge der Rückstände durch den Gas-Chromatographen mit kombiniertem Massen-Spektrometer laufen. Das Gerät isolierte aus einem Gemisch die einzelnen Elemente und identifizierte sie. Es konnte Proben analysieren, die nur aus einem Millionstel Gramm bestanden. Waren die einzelnen Substanzen erst einmal isoliert, wurden sie mit einer Datenbank abgeglichen, und oft genug erbrachte diese Suche sogar die Markennamen der einzelnen Produkte.
Cooper ging das Ergebnis durch. »Du hast recht, Lincoln. Es ist RDX. Auch Öl. Und etwas Merkwürdiges - Stärke...«
»Stärke!« rief Rhyme aus. »Das ist es, was ich gerochen habe. Es ist Guarkernmehl...«
Cooper lachte anerkennend, als genau dieses Wort auf dem Computerschirm erschien.
»Woher wußtest du das?«
»Weil es Dynamit der Armee ist.«
»Aber da ist kein Nitroglyzerin drin«, protestierte Cooper. Die aktive Substanz in Dynamit.
»Nein, nein. Es ist kein richtiges Dynamit«, sagte Rhyme. »Es ist eine Mischung aus RDX, TNT, Motoröl und Guarkernmehl. So was sieht man nicht oft.«
»Aus Armeebeständen, was?« brummte Sellitto. »Weist auf Hansen hin.«
»Allerdings.«
Der Techniker legte neue Objektträger auf den Schlitten seines Mikroskops.
Das Bild erschien gleichzeitig auf Rhymes Computerschirm. Teile von Fasern, Kabeln, Splittern und Staub.
Es erinnerte ihn an ein ähnliches Bild, das er Jahre zuvor, allerdings unter ganz anderen Umständen, gesehen hatte. Damals hatte er durch ein schweres Messing-Kaleidoskop geschaut, das er als Geburtstagsgeschenk für eine Freundin gekauft hatte. Rhyme hatte das Kaleidoskop in einem Laden in SoHo entdeckt und es der schönen und eleganten Claire Trilling
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