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Letzter Weg

Letzter Weg

Titel: Letzter Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Norman
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antwortete Sam. »Aber die Tatsache, dass Cathy Kez’ Wagen in Naples gefahren hat und mit ihr am Strand laufen war, bevor …«
    »Sie sagt, Kez habe ihr die Morde gestanden«, sagte Grace.
    »Aber nur ihr«, sagte Sam. »Im Augenblick wird Cathy lediglich als Zeugin der Schießerei behandelt, und bis jemand etwas Handfestes ausgräbt, um ihre Geschichte zu untermauern, bleibt es genau das: eine Geschichte.«
    »Braucht sie einen Anwalt?«, fragte Grace.
    »Noch nicht«, antwortete Sam. »Aber mach dir keine Sorgen, Grace. Selbst wenn ein paar Leute Cathy eine Zeitlang beschnüffeln, wird es nicht lange dauern, bis erwiesen ist, dass Kez Flanagan schon mordete, lange bevor sie Cathy getroffen hat.«
    »Aber sie waren beide schon eine Zeitlang an der Trent University, als sie sich kennen gelernt haben«, sagte Grace.
    »Keine Bange«, beruhigte Sam sie. »Erst haben sie noch einen anderen Becket am Haken – einen, der es vielleicht sogar verdient.«
    »Sprich nicht so«, ermahnte ihn Grace. »Bitte.«
    »Ich kann nicht anders«, seufzte Sam.
    »Du hast das Leben unserer Tochter gerettet«, sagte Grace.
    »Ja, vielleicht«, erwiderte Sam, »aber vielleicht hätte ich auch nicht tun müssen, was ich getan habe.«
    »Sam, bitte «, sagte Grace mit Nachdruck.
    Und sie legte wieder auf.

118.
    Grace saß noch lange nach dem Anruf in der Küche und dachte nach.
    Claudia hatte gut zehn Minuten später angerufen, doch Grace hatte das Gespräch vom Anrufbeantworter abblocken lassen. Sie wusste, dass sie sich bald auch mit ihrer Schwester würde auseinandersetzen müssen, aber nicht jetzt.
    In ihrem Leib trat das Baby.
    Beruhigend und liebevoll redete Grace auf ihren ungeborenen Sohn ein, bis er sich wieder beruhigt hatte.
    Doch Grace beruhigte sich nicht.
    Sie stand auf, ging aus der Küche in den kleinen Flur und in ihre Praxis. Sie schaute auf Lucias Schreibtisch, auf die niedlichen Kräutertöpfe auf dem Regal darüber und dann auf die Briefablage und die Becher mit Stiften, alles ordentlich neben dem Computer. Grace erkannte, dass sie Lucia vermisste; es hätte sie getröstet, ihre Sekretärin jetzt bei sich zu haben.
    Grace dachte über das Foto nach, von dem Cathy gesprochen hatte, und dass sie es gerne noch einmal sehen würde; dann hätte sie sich anschauen können, wie Kez’ Balkon aussah. Wenn sie ihn sich vorstellen konnte, würde sie sich vielleicht nicht mehr ganz so abgeschnitten von Cathy fühlen, und das wiederum hätte ihr langfristig vielleicht geholfen.
    Grace setzte sich auf Lucias Stuhl und zog beiläufig eine Schublade auf. Vielleicht hatte Lucia den kaputten Rahmen ja hier hineingelegt. Doch Grace fand nur einen Notizblock, weitere Stifte, etwas Klebeband und den üblichen anderen Bürokram.
    Grace versuchte es an der untersten Schublade. Sie war verschlossen.
    Das überraschte Grace, denn abgesehen von dem Schrank mit den Patientenakten war ihres Wissens nie etwas in dieser Praxis abgeschlossen gewesen.
    Auch war ihr Lucia nie irgendwie heimlichtuerisch erschienen.
    Andererseits hatte sie sich selbst auch nie als vorwitzig betrachtet – obwohl manche Leute behaupteten, Psychologen seien generell so.
    Vielleicht hatten sie recht.
    Grace hatte im Fernsehen gesehen, wie man solche Schubladen aufbekommen konnte.
    Sie stand auf, holte sich den Brieföffner von ihrem eigenen Schreibtisch, kam wieder zurück und setzte sich. Sie wusste, dass sie kein Recht hatte, das zu tun, und sie wusste auch nicht wirklich, warum sie es überhaupt versuchte. Aber es war wirklich nicht schwer: ein bisschen rütteln, schieben und drücken und sich eine angemessene Entschuldigung ausdenken, wenn Lucia wieder zurückkam … und die Schublade war auf.
    Das Foto war tatsächlich darin.
    Doch der Rahmen war nicht zerbrochen – oder vielleicht war er schon repariert worden; Grace konnte es unmöglich wissen. Aber warum hatte Lucia das Bild dann weggeschlossen?
    Grace erinnerte sich verschwommen, dass das Foto Lucia vor gut zehn Jahren mit ihrer Nichte Tina zeigte, die – so vermutete Grace – damals um die zwölf Jahre gewesen sein musste.
    Sie war sehr groß für ihr Alter, hatte lange Beine und helles Haar – anders als ihre Tante Lucia. Sie lächelte ein wenig gequält in die Kamera wie viele Kinder, wenn man sie zwang, für ein Foto zu posieren.
    Grace erkannte plötzlich und schuldbewusst, dass sie sich nie die Zeit genommen hatte, sich das Mädchen genauer anzusehen, das ihrer Tante so viel bedeutete.
    Nun, da sie

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