Leuchtende Sonne weites Land - Roman
sich noch einmal umzudrehen, eilte sie nach oben, wo bereits alle Vorbereitungen für das Ausbringen des Fallreeps und das Ausbooten der Passagiere getroffen wurden. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als Henry durch ihr vorzeitiges Von-Bord-Gehen größtmögliche Unannehmlichkeiten zu bereiten und sein verlogenes Gesicht nie wiederzusehen.
2
Jacqueline ging gemeinsam mit einundfünfzig anderen Passagieren von Bord. Die Zollformalitäten waren in einer guten Stunde erledigt. Während sie warten und mehrere Formulare ausfüllen musste, hatte sie reichlich Zeit zum Nachdenken. Sie konnte einfach nicht glauben, dass Henry sich in eine andere Frau verliebt hatte und sich allen Ernstes von ihr trennen wollte. Das ist sicher wieder nur eine seiner Krisen, sagte sie sich. Sobald er merkte, dass sie tatsächlich von Bord gegangen war, würde er Vernunft annehmen und ihr nachlaufen.
Erst als sie die Schiffssirene hörte und ihr klar wurde, dass die Liberty Star ohne sie nach Melbourne weiterfahren würde, konnte sie sich nichts mehr vormachen: Es war Henry bitterernst, er wollte tatsächlich die Scheidung, damit er mit seiner Verity ein neues Leben beginnen konnte. Die Wahrheit traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Da stand sie nun, mutterseelenallein in einem fremden Land, praktisch ohne Geld und mit wenig mehr als dem, was sie auf dem Leib trug, und hatte keine Ahnung, was sie mit dem Rest ihres Lebens anfangen sollte.
Der grauhaarige Beamte am Einwanderungsschalter betrachtete prüfend den Pass, den sie ihm reichte, verglich das Foto mit der Frau, die vor ihm stand, und studierte ihre Reiseunterlagen.
»Hier steht, Ihr Reiseziel ist Melbourne, Mrs. Walters«, sagte er schließlich.
Er sah, dass sie geweint hatte, aber das war nicht ungewöhnlich. Einige Passagiere weinten, weil das Wiedersehen mit Angehörigen, die sie lange nicht gesehen hatten, bevorstand, und andere, weil sie ihren Entschluss auszuwandern schon wieder bereuten.
»Ja, das ist richtig«, erwiderte Jacqueline schniefend.
»Und weshalb sind Sie dann in Adelaide von Bord gegangen?«
Jacqueline blinzelte. Ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, und sie sah alles wie durch einen Schleier hindurch. »Darf man denn seine Meinung nicht ändern? Spielt es eine Rolle, wo in diesem Land ich leben möchte?« Ihre Nerven lagen blank, ihre Stimme klang fast hysterisch. Andere Passagiere wurden auf sie aufmerksam. Ihre Reaktion weckte auch das Misstrauen des Schalterbeamten.
»Es muss doch einen Grund für Ihre Meinungsänderung geben«, sagte er und sah sie aus seinen blauen Augen durchdringend an. Er übte diesen Beruf lange genug aus, er wusste, wenn jemand etwas zu verheimlichen hatte.
»Ja, den gibt es, aber das ist meine Privatsache«, gab sie patzig zurück. Sie kramte ein Taschentuch hervor und schnäuzte sich. »Das geht Sie überhaupt nichts an. Kümmern Sie sich lieber um Ihren Papierkram.«
Jetzt war es ganz still geworden rings um sie her. Sie spürte, wie die Leute sie anstarrten.
Der Schalterbeamte warf ihr einen argwöhnischen Blick zu und blätterte dann abermals in ihrem Reisepass. »Sind Sie allein gereist oder mit Ihrem Mann, Mrs. Walters?«
»Herrgott noch mal, was spielt das denn für eine Rolle? Ja, ich bin mit meinem Mann gereist, aber ich will nicht darüber reden«, fauchte sie.
»Ist er hier?« Der Beamte ließ seinen Blick über die Passagiere schweifen.
»Nein, er ist nicht hier. Sind Sie schwer von Begriff? Ich habe doch gerade gesagt, ich will nicht darüber reden.« Jacqueline hatte keine Lust, vor allen Leuten zu erklären, dass ihr Mann sie gerade verlassen hatte.
Der Beamte zählte zwei und zwei zusammen. Allem Anschein nach hatte sich die sichtlich aufgewühlte junge Frau mit ihrem Mann gestritten und das Schiff aus einer Anwandlung heraus verlassen. Wahrscheinlich bereute sie ihren spontanen Entschluss bereits.
»Wo ist Ihr Mann jetzt, Mrs. Walters?«
Jacqueline starrte ihn an. Ihre Unterlippe zitterte. Sie hätte diesen Menschen ohrfeigen können, weil er sie wie ein unmündiges Kind behandelte. Als müsste sie sich jede Entscheidung von ihrem Mann absegnen lassen.
»Würden Sie bitte meine Frage beantworten, Mrs. Walters?«
Auf einmal hatte sie genug von diesem Verwirrspiel und machte ihren Gefühlen Luft. »Mein Mann hat mir vor einer Stunde erklärt, dass er die Scheidung will, damit er die Frau, mit der er mich auf der Reise hierher betrogen hat, heiraten kann«, sagte sie laut und deutlich.
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