Leuchtendes Land
Verbindungen erhielt Thora überhaupt eine Fahrkarte für den überfüllten Zug. Als die beiden Frauen ihr beim Einsteigen halfen, verließ sie beinahe der Mut.
Sie reiste mit einem wilden Haufen, in dem manch einer verdächtig nach Schnaps roch. Die Männer bildeten eine bunt zusammengewürfelte Truppe, einige trugen staubige Kleidung, andere elegante Anzüge bis hin zum Zylinder. Die Frauen benahmen sich laut und übermütig, und ihre schrillen Kleider und riesigen Hüte schienen in Thoras Augen eher ins Theater als in einen Zug zu passen.
»Reden Sie mit niemandem«, flüsterte ihr Mrs. Cowper zu.
»Und nehmen Sie keine Erfrischungen von diesen Leuten an«, warnte ihre Schwester. »Wenn es Schwierigkeiten gibt, ziehen Sie einfach an der roten Kordel und halten damit den Zug an.« Ein Pfiff ertönte, und die beiden Damen traten zurück, um Thora hinterherzuwinken.
Sie schaute zu der roten Kordel hoch. Selbst wenn es Mord und Totschlag geben sollte, würde sie nicht wagen, daran zu ziehen. Sie kauerte sich in ihre Ecke und versuchte die Tatsache zu ignorieren, dass sämtliche Mitreisenden ihre Schnapsflaschen hervorholten.
Wie gewöhnlich erregte Lydia Aufmerksamkeit, auf die ihre Mutter in dieser Gesellschaft allerdings gern verzichtet hätte. Eine auffallend geschminkte Frau machte Anstalten, sich mit der jungen Dame und ihrer »Kleinen« anzufreunden, was Thora unerhört peinlich war.
»Die Frauen haben recht gehabt«, dachte sie niedergeschlagen, »das hier sind wirklich die vulgärsten Leute, denen ich je begegnet bin.« Ausnahmsweise fühlte sie sich auch von den Aufmerksamkeiten der Männer, die sie zum Mitfeiern einluden, sie »meine Schöne« nannten und andere veranlassten sie, mit kaum verhohlener Begierde anzustarren, keineswegs geschmeichelt.
Thora lächelte nur, schüttelte den Kopf und presste Lydia an sich. Als die Gesellschaft zu singen begann, fing das Baby, das solchen Lärm nicht gewöhnt war, an zu weinen, und hörte erst auf, als es vor lauter Erschöpfung eingeschlafen war. Da Thora nichts Besseres zu tun hatte, starrte sie hinaus in die eintönige Ebene.
Sie fragte sich, was diese Frauen auf den Goldfeldern zu suchen hatten. Clems Briefe hatten in ihr nämlich den Eindruck erweckt, das Goldschürfen dort am Rand der Wüste sei eine Männerdomäne. Thora wagte das, was sie vermutlich taten, nicht einmal in Gedanken beim Namen zu nennen, doch diese Frauen waren bestimmt nur darauf aus, Männer ins Unglück zu treiben. Sie lärmten, sangen lauthals, waren in Satin und Seide gekleidet, trugen teure, wenn auch ordinär aufgeputzte Hüte. Wozu brauchten sie in der Wüste solchen Tand?
Wo wohnten sie? Bei näherer Betrachtung bemerkte Thora, dass einige von ihnen nicht älter als sie selbst und auch recht hübsch waren. Sie spürte einen leisen Stich; Eifersucht kam auf. Gaben auch Clem und Mike sich mit solchen Weibern ab? Hatte er es deshalb nicht eilig, nach Hause zu kommen?
Als sie Alice ihre Pläne darlegte, hatte sich alles so einfach angehört.
»Ich muss einfach aus dem Bahnhof von Perth marschieren und eine Pferdedroschke nehmen. Auf Fotos habe ich gesehen, dass die Kutschen zu Dutzenden vor dem Bahnhof stehen und auf Passagiere warten. Damit fahre ich dann zum
Palace Hotel
, dem besten Haus am Platz, nehme mir ein hübsches Zimmer und habe genügend Leute zur Verfügung, die mir mit Lydia helfen. Nichts einfacher als das. Ich wünschte, du würdest dich nicht so aufregen. Man könnte glauben, ich sei eine Unschuld vom Lande, die sich in der Stadt nicht zurechtfindet.«
Als der Zug in den Bahnhof von Perth einfuhr, stürzten die Betrunkenen aus dem Abteil, ohne sich um Thora zu kümmern. Sie musste sich samt dem Baby allein aus dem Wagen kämpfen und einen Gepäckträger suchen.
Bei Einbruch der Dunkelheit stand sie im strömenden Regen vor dem Bahnhof, wo sie eigentlich die Droschken vorzufinden erwartet hatte, doch die waren bereits verschwunden. Niedergeschlagen wartete sie am Bordstein, bis ihr ein mitleidiger Gepäckträger einen Wagen besorgte.
Eine Uhr schlug sechs, und Lydia fing wieder an zu weinen, als der freundliche Kutscher sie im geschäftigen Foyer ihres Traumhotels ablieferte. Damen in herrlichen Toiletten rauschten an ihr vorüber, während die Herren in Abendkleidung einen Bogen um die Frau machten, die mit einem Baby auf dem Arm verloren inmitten eines Gepäckbergs stand. Thora machte eine schöne Treppe und einen herrlichen Kronleuchter aus, doch sie
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