Leuchtendes Land
Suite behalten konnte, da Mr. Price in Kürze eintreffen würde. Thora hatte zwar nicht damit gerechnet, für ein Doppelzimmer bezahlen zu müssen, doch da ihre neue Freundin einen Mitarbeiter der Buchhaltung angewiesen hatte, alle Rechnungen über York nach Lancoorie zu schicken, machte sie sich keine großen Gedanken darüber. Sie musste einfach nur unterschreiben. Miss Devane hatte sie auch darüber aufgeklärt, dass Mütter von Babys gewöhnlich Kindermädchen beschäftigten, die in der Personalunterkunft neben dem Hotel untergebracht wurden.
Miss Devane ging ihre Liste mit dem Aushilfspersonal durch und fand ein junges Mädchen namens Netta, das Lydia betreuen sollte.
In der Zwischenzeit mussten noch andere Dinge geklärt werden. Die Hausdame erkundigte sich neugierig nach Mr. Tanner.
»Kennen Sie diesen Herrn näher?«
»Natürlich. Er war unser Bankdirektor in York.«
»Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Mit Fremden dürfen Sie sich auf keinen Fall einlassen. Nicht, dass ich etwas gegen Mr. Tanner hätte – sein Angebot war sehr freundlich, und es ist eine anständige Suite. Als Börsenmakler ist er in Perth eine bekannte Persönlichkeit.«
»Ist er das? Ich war so außer mir, dass ich mich gar nicht nach seiner derzeitigen Beschäftigung erkundigt habe.« Thora konnte ein Kichern kaum unterdrücken. Offensichtlich hatte ihre neue Vertraute keine Verbindung mehr nach York, sonst hätte sie gewusst, dass Mr. Tanner seiner Frau davongelaufen war. Thora brachte durchaus Verständnis für seine Flucht auf, da Mrs. Tanner bei den Carty-Mädchen immer als ausgesprochener Drache gegolten hatte.
Sie sah zu, wie unter Miss Devanes Anleitung Mr. Tanners Gepäck abgeholt und ihre eigenen Kleider ausgepackt, gebügelt und in den Schrank geräumt wurden. Thora genoss den Luxus und vergaß darüber, dass sie auch zu Hause auf Lancoorie keinen Finger rührte und Alice diese Aufgaben überließ.
Ein weiteres Mädchen übernahm für einen Tag die Kinderbetreuung, wofür Thora sehr dankbar war.
»Wir setzen alles auf Ihre Rechnung«, meinte Miss Devane achselzuckend. »Haben Sie sonst noch Wünsche?«
»Ja, ich hoffe, Sie nehmen mir diese Bitte nicht übel. Mr. Tanner hat mich für heute Mittag zum Essen eingeladen. Ich habe erfahren, dass sich die Damen für solche Gelegenheiten sehr elegant kleiden, und weiß nun nicht so recht, was ich anziehen soll. Vielleicht können Sie mir einen Rat geben.«
Miss Devane scheute vor dieser Herausforderung keineswegs zurück, marschierte ins Schlafzimmer und öffnete den Kleiderschrank.
»Lassen Sie mich sehen.«
Während die Hausdame ihre Garderobe prüfte, fügte Thora hinzu: »Ich möchte nicht wie eine Landpomeranze aussehen.«
»Das wird Ihnen mit diesen Kleidern auch nicht passieren. Im Gegensatz zu vielen anderen Gästen haben Sie einen ausgezeichneten Geschmack.«
»Ich bestelle sie aus dem Katalog und lasse sie von meiner Schwägerin ändern.«
»Wie wäre es damit?«, Miss Devane nahm ein cremefarbenes Seidenkleid aus dem Schrank, das bis zu dem hohen Spitzenkragen durchgeknöpft war. Es hatte ein schmal geschnittenes Oberteil und einen weiten, weich fließenden Rock.
»Finden Sie es nicht reichlich schlicht?«
»Nicht schlicht, meine Liebe, sondern elegant. Haben Sie einen passenden Hut dazu?«
»Mehrere sogar.«
Als Edgar Tanner die Treppe hinaufstieg, um Thora Price abzuholen, spürte er ein gewisses Bedauern. Nicht, dass er seiner Suite nachgetrauert hätte – er hatte inzwischen ein schönes Zimmer mit Veranda gefunden, das weitaus billiger war als die Räume im
Palace Hotel
. Nein, er bedauerte, dass er sie für diesen Sonntag zum Essen eingeladen hatte. Als er die Einladung ausgesprochen hatte, war er leicht angetrunken gewesen.
Dieses Sonntagsessen war überaus wichtig, da Lord Kengally anwesend sein würde. Er gehörte zu jenen englischen Aristokraten, die die großen Syndikate vertraten, und war kürzlich im Gefolge von Lord Fingall in Perth eingetroffen. Dieser hatte Gelder in die sagenumwobene Londonderry-Mine südlich von Coolgardie investiert.
Tanner hatte festgestellt, dass es ihm beim Schürfen sowohl an Muskelkraft als auch an Ausdauer mangelte, und sich daher dem Bereich Börsenhandel und Firmengründungen zugewandt. Unter der hochtrabenden Bezeichnung E. G. Tanner & Co. unterhielt er Büros in Kalgoorlie und Perth. Er machte gute Geschäfte, doch fehlte ihm bisher noch der ganz dicke Fisch. Mit dem Optimismus des
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